Die große Verwandlung – noli me tangere

Predigt von Pfarrer Jan-Peter Hanstein am Ostersonntag 2025 zu Joh 20

– es gilt das gesprochene Wort – hier die Audio-Datei

Tizian, Noli me tangere

11Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein 12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte.
13Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
14Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. 16Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!
17Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.

Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.
18Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe.

Johannes 20

Liebe Gemeinde,

Der Frühlingsmorgen liegt über unserer Stadt wie ein sanfter Schleier. Die Osterglocken wiegen sich im leichten Wind, die Kirschblüten und die Kirchenglocken haben uns aus unseren Häusern gerufen. Manche waren auf den Friedhöfen, unseren kleinen traurigen Paradiesen.

Ganz anders muss es gewesen sein, als Maria Magdalena durch den Garten Gethsemane eilte – der Tau noch auf den Gräsern, die Vögel erwachend, und ihr Herz erschreckt. Der Tag dämmerte erst. Der grausame Tod, sie war unter dem Kreuz gewesen, alles noch blutfrisch, sie war noch nicht zum Trauern gekommen. Sie konnte nicht schlafen und hat für sich beschlossen, dass sie dann auch gleich zum Felsengrab gehen könnte. Sie ist die Erste ganz früh und dabei hat sie die Amphore mit dem teuren Öl, um Jesus zu salben. Kann der  der Messias, der Gesalbte sterben? Ist er es wirklich gewesen? Sie weint und sieht durch die Tränen fast nichts.

1. Die Suche, die ins Leere führt

Maria heult laut auf, nachdem das Grab leer ist. Wo haben sie ihn hingetan? Nicht einmal mehr den Leichnam lassen sie ihr!

Dann geschieht etwas Bemerkenswertes: Sie sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. So schreibt es Johannes und darin liegt ein großer Schatz, für uns alle. Die griechischen Wörter, aber auch im lateinischen, für „Wissen” und „Sehen” sind miteinander verwandt. Johannes leise Kritik am Sehen und Wissen. Maria sieht aber weiß nichts. Sie hält den Mann für einen Gärtner!

Maria erkannte Jesus erst, als sie ihren Namen HÖRT. Der Glaube kommt nicht aus dem Sehen, sondern dem Hören (Röm 10,17) … So wie eine Konfirmandin es ausdrückte: “Ich verstand nicht, was Glauben bedeutet, bis ich hörte: ‘Gott sieht dich.'” Wie Jesus sie sieht und sie anspricht – das versteht Maria, dass Jesus vor ihr steht.

2. “Rühre mich nicht an” – Die große Metamorphose

Als Maria Jesus erkennt, will sie ihn festhalten, umarmen, sich vergewissern. Jesus aber sagt zu ihr: “Rühre mich nicht an!” Es ist mehr als nur eine Geste der Zurückhaltung – es ist ein Hinweis auf die tiefgreifende Verwandlung, die gerade stattfindet. Wie soll das vor sich gehen?

Der Dichter Johann Peter Hebel hat sich vorgestellt, wie die Menschen alle das Material zurückhaben wollen, aus dem einmal ihr Körper bestanden hat: Wir müssten uns verzehnfachen und mehr. Und denkt an das ganze Wasser! Geschweige denn das ganze Essen … Heute wissen wir, dass sich die Dünndarmzellen alle 2-4 Tage erneuern, Lungenbläschen alle 8 Tage, nach sieben Jahren gibt es so gut wie keine Zelle mehr in und an unserem Körper, die sich nicht erneuert hat. nur die Herzmuskelzellen und Hirnzellen brauchen 40 Jahre. Aber ich bin schon 58 Jahre alt … Seht: die Materie, aus der wir bestehen, ist auswechselbar, ohne dass unsere Identität dabei verloren geht. Das geistige Prinzip, der Gedanke, das Gedächtnis ist mächtiger als all das, was wir jemals zu uns nehmen können.

Genau das scheint bei der Auferstehung Jesu zu geschehen. Er ist derselbe und doch ganz anders. Sein Leib durchläuft eine Metamorphose im Schnelldurchgang  , er befindet sich in einem Zustand des Übergangs – “Ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater” – er ist nicht mehr der irdische Jesus, den Maria kannte, aber noch nicht der vollständig verherrlichte Christus.

“Rühre mich nicht an!” Noli me tangere…

Der Philosoph Jean-Luc Nancy sieht in dieser Szene etwas noch Tiefgründigeres: Jesus sagt eigentlich “Halte mich nicht auf meinem Weg zur Auferstehung auf.” Es geht nicht um ein Berührungsverbot, sondern um eine neue Art der Beziehung. Nancy macht uns klar: Wahre Begegnung bedeutet nicht, den anderen zu besitzen oder festzuhalten. Wir müssen lernen, einander zu berühren, ohne Besitz zu ergreifen. Genau das ist es, was Jesus von Maria verlangt – eine Liebe, die frei ist von dem Wunsch, den anderen für sich zu behalten. Diese Art von Liebe ist der Grundstein für jede echte menschliche Berührung.

Das “Halte mich nicht fest” bedeutet also: Halte nicht an deinem alten Bild von mir fest. Ich muss mich vollenden in der Auffahrt zum Vater. Die Auferstehung ist kein Zurück zum Status quo, sondern der Beginn einer kosmischen Transformation, die bis heute andauert.

3. “Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater” – Ein vertrautes Gottesbild

Was Jesus hier sagt, erscheint uns selbstverständlich, war es aber nicht. Er spricht von Gott als seinem Vater. Jesus hat nicht eine völlig neue Religion gestiftet, sondern er stand tief in der Tradition Israels.

Wenn Jesus Gott als Vater anspricht, dann knüpft er an, was im jüdischen Glauben bereits angelegt war. Kritische Theologen behaupten oft, diese Anrede sei ein Zeichen dafür, dass diese Worte nicht authentisch sein könnten – zu einzigartig, zu revolutionär. Doch dieses Kriterium der Unableitbarkeit verpufft angesichts der Tradition.

Die ersten Christen haben nur zögernd ausgesprochen, dass Jesus Gott als seinen besonderen Vater beanspruchte. Aber die Anrede “euer Vater”, die Jesus in seinen Unterweisungen verwendet, gehört zu den ältesten Überlieferungsschichten. Wie unser ehemalige Stadtarchivar Glückert gerne sagt: “Das Neue ist oft nur das längst Vergessene, das wiederentdeckt wurde.”

4. “Mein Vater und euer Vater” – Die Einladung zur Gemeinschaft

Am Ende gibt Jesus Maria einen Auftrag: “Geh zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.”

Jesus bindet Gott nicht exklusiv an sich. Er öffnet die Tür für alle.

Dies erinnert mich an eine Geschichte – ein Gleichnis – ist sie aus dem Talmud?

Ein Prinz besaß einen wunderschönen Garten mit seltenen Blumen und Früchten, den er sorgsam pflegte. Eines Tages entschloss er sich, die Tore für alle zu öffnen und verkündete: “Was mein ist, soll auch euer sein. Wie mein Vater, der König, mir diesen Garten geschenkt hat, so schenke ich euch den Zugang dazu.” Die Menschen kamen zögernd, denn sie waren es nicht gewohnt, königliche Gärten zu betreten. Doch der Prinz begrüßte jeden Einzelnen mit den Worten: “Mein Vater ist auch euer Vater, mein König auch euer König.”

Das Vaterunser bleibt ein Wir-Gebet. Jeden Sonntag beten wir es gemeinsam: “Unser Vater im Himmel.” Nicht “mein” Vater, sondern “unser” Vater. In der Johannesformel findet dies seinen vollendeten Ausdruck: “Mein Vater und euer Vater”, “mein Gott und euer Gott”.

Ein marokkanischer Mann, der Muslim war, tolerierte den Wunsch der deutschen Mutter, auch christlich zu heiraten. Damals musste ich diese kirchliche Trauung beim Dekan mit einem seelsorgerlichen Gutachten genehmigen lassen. Der damalige etwas autoritäre Dekan zu Regensburg, sagte zu mir jungen Pfarrer z.A.: “Aber sorgen Sie dafür, dass in jedem Gebet klar wird, dass Sie sich an Gott den Vater Jesus Christi wenden und nicht an Allah!” Ich war schon immer etwas frech und sagte: “Herr Dekan, ich wusste gar nicht, dass Sie Polytheist sind!” Da wurde er etwas ungehalten und ich musste ihn beruhigen. Ich erzählte ihm von dem Traugespräch – Raten Sie mal Herr Dekan, was der muslimische Ehemann jeden Abend mit seinem Sohn betet!” – “Ja was denn?” Ich: “Er sagte an diesem Gebet stimme jedes Wort. Es sei so schön. Er betet jeden Abend Das Vater Unser mit seinem Sohn.” – Da ließ es der gestrenge Herr Dekan geschehen…

Versteht ihr jetzt – was es heißt, den Garten zu öffnen?

5. Der Weg zum Thron Gottes

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb aus der Gefängniszelle: “Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.” Im Gebet sprechen wir Gott als Vater an, im Handeln behandeln wir andere als Geschwister.

Liebe Gemeinde, wenn wir heute vom Ostergottesdienst zurück in unsere Häuser gehen, wenn wir am gedeckten Tisch sitzen und Ostereier suchen, wenn wir das “Christ ist erstanden” noch im Ohr haben – dann lasst uns daran denken: Der Auferstandene hat uns zu seinen Geschwistern gemacht. Sein Vater ist unser Vater. Sein Gott ist unser Gott. Er ist beim Vater. Die Botschaft ist mehr als nur die Auferstehung, mehr als Jesus gesehen zu haben – Jesus erscheint, um seine Jünger auf den nächsten Schritt vorzubereiten. Er wird zu seinem Vater in den Himmel hinaufgehen! Im Glaubensbekenntnis heißt es nach der Auferstehung:

Aufgefahren in den Himmel – Er sitzt zur Rechten Gottes des Vaters, des Allmächtigen, von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.

Aber das ist Maria und uns heute an Ostern zu viel. Wie Maria damals vom Grab zurücklief zu den Jüngern, so lasst uns diese Botschaft hinaustragen in unser Städtchen, zu unseren Nachbarn, zu allen, die noch im Dunkeln sind. Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Und wir werden auch auferstehen!

Er wird zu seinem Vater auffahren! Und wir auch!

AMEN.

Der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

80 Jahre Frieden

Donnerstag, 08.05.2025 | 19.00 Uhr | Johanniskirche

Ökumenischer Dankgottesdienst am 08.05.2025

80 Jahre in Frieden und Freiheit zu leben – dies ist etwas Besonderes, das wir als Deutsche und in Europa dankbar erleben. Nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes wurde am 08. Mai 1945 die Kapitulation unterzeichnet. Europa und Deutschland lag in Trümmern, 60 Millionen Tote waren zu beklagen, kaum eine Familie, die nicht vom Tod naher Angehöriger betroffen war. Trauer, Angst und Verzweiflung herrschten in diesen Tagen, auch in Lauf.

Wir wollen diesen Jahrestag annehmen, um dankbar auf 80 Jahre Frieden und Freiheit und dem Leben in einer Demokratie zurückzublicken und werden dies am 08.05.2025 um 19 Uhr in einem Dankgottesdienst in der Johanniskirche tun.

Herzliche Einladung, an alle, die damals den schrecklichen Krieg noch miterleben mussten.
Herzliche Einladung aber auch an Sie und Dich, die wir in diesem Frieden aufwachsen und leben dürfen.

Donnerstag 08.05.2025, 19 Uhr, Dankgottesdienst für den Frieden, in der Johanniskirche


Feierliches Glockengeläut am 08.05.2025 um 19 Uhr

Am 08.05.1945 kapitulierte das Nazi-Regime und der Krieg in Europa war zu Ende. 60 Millionen Tote, schreckliche Morde und Taten waren das Ergebnis dieses Krieges.

Wir dürfen auf 80 Jahre Frieden und Leben in Freiheit zurückblicken. Dies als Anlass wollen wir einen Dankgottesdienst feiern und es mit einer mächtigen Stimme (bzw. Klang) kundtun:

Um 19 Uhr werden die Glocken der Laufer Gemeinde für 10 Minuten läuten, um hörbar zu machen, dass wir uns als Kirche nie mehr einem Unrechtsregime beugen wollen und klar die Botschaft Gottes über unseren Dächern zu hören sein soll. Herzliche Einladung dem Klang zu lauschen, evtl. ein Vaterunser zu beten oder in den Dankgottesdienst in der Johanniskirche zu kommen.

2. Fastenpredigt

Thema: “Freiheit”

mit Pfr. Dr. Johannes Wachowski, Johanniskirche Lauf 2025
Predigttext Johannes 6,47-51

Das Predigtwort für den heutigen Sonntag Lätare steht im Johannesevangelium im 6. Kapitel. Es ist der Schluss der Brotrede Jesu. Der Evangelist Johannes schreibt (6,47-51):
Jesus Christus spricht: „47 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. 51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch – für das Leben der Welt.“

Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.

Liebe Gemeinde!

Machen wir Brotzeit.
Der Sonntagmorgen von Lätare ist eine gute Zeit dafür.
Denn das Predigtwort spricht sogar vollmundig von einer himmlischen und ewigen Brotzeit. Jesus sagt in ihm: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“
Also: Machen wir Brotzeit.

Liebe Schwestern und Brüder!
Als kleiner Junge war die Brotzeit mit meinem Opa ein bisschen Himmel auf Erden.
Brotzeit mit dem Opa Hans war fast eine kleine heilige Zeit.
Mein Opa hatte nur noch wenige Zähne, sodass er das Brot klein einschnitt.
Alles wurde fast in Zen-Manier klein geschnitten, wenn es z.B. Stadtwurst mit Musik gab.
Ich machte mit, meine Opa erzählte Geschichten.
Gemeinsam bereiteten wir eine Brotzeit, die nur mit ihm, nur an diesem Ort, nur in dieser Zeitlichkeit, nur in diesem Arrangement so gut schmeckte.
Das kennt Ihr vielleicht alle, dass es bei der Oma und dem Opa noch einmal anders oder besonders gut schmeckte.
Die einfache Brotzeit bedeutete nicht nur Freiheit gegenüber vielen kindlichen Konsumwelten. Milchschnitten gab es damals zum Beispiel noch nicht.
Das Produkt Kindermilchschnitte wurde erst 1978 auf dem deutschen Markt eingeführt.
Und das Essen schmeckte nach viel mehr: nach Füreinanderdasein, nach Langsamkeit, nach Bleiben, nach Aufmerksamkeit, nach Geschichte, auch Familiengeschichte, nach der Liebe von Großvater- und Großmutter usw.
Ihr merkt schon. Brotzeit ist etwas Wunderbares.
Kein Wunder also, dass Jesus in die Welt des Brotes einkehrt, um seine Bedeutung zu unterstreichen: „51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“
Der Jude Jesus hat die Bedeutung der Speisen und des Speisens bestimmt auch von seiner Bibel gelernt. In den Schriften seins Volks heißt es ja z.B.: Besser ein Gericht Gemüse mit Liebe als ein gemästeter Ochse mit Hass. (Sprüche 15,17)
Essen ist mehr als die Aufnahme von Nährstoffe.
Das macht das ganze 6. Kapitel des Johannesevangeliums, die sogenannte Brotrede, klar.
Sie kulminiert dann in dem Brot des Heils. Sie kulminiert in unsere heutigen Predigtwort.

Liebe Gemeinde!
Machen wir Brotzeit! Haben wir gesagt. Und wir schon ein gesehen, wie wichtig Orte, Zeiten und Menschen dafür sind.
In Deutschland spielt das Brot eine besondere Rolle.
„Brot gibt es in nahezu jeder Kultur auf der Welt. Die Art und Weise, wie es hergestellt und konsumiert wird, variiert aber erheblich, man denke nur an französisches Baguette, israelisches Pita-Brot, indisches Naan, die mexikanische Tortilla oder Damper, ein Busch-Brot der Aborigines aus Australien.
Allein in Deutschland soll es über 3.200 registrierte Brotsorten geben. 2014 nahm die nationale UNESCO-Kommission die deutsche Brotkultur in das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Deutschland auf.
Laut dem Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks kauften im Jahr 2023 die privaten Haushalte 1.616.000 Tonnen Brot: »Die Käuferreichweite für Brot lag bei 97,6%, das heißt von 1.000 Haushalten in Deutschland kauften 976 im Jahr 2023 mindestens einmal Brot. Dieser Wert ist seit Jahren weitgehend stabil.« (Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks)
Brot ist ein Grundnahrungsmittel: Für viele Menschen gehört Brot zur täglichen Ernährung dazu. Das verleiht der Aussage von Jesus, dass er das »Brot des Lebens« sei, eine besondere alltägliche Relevanz und existenzielle Tiefe.“ (Wenig, 164)
Wo also anders als in Deutschland könnte das Ich-bin-Wort Jesu, das Wort „Ich bin das Brot des Lebens“ besser verstanden werden: Im Land des Brotes, könnte man fast sagen.
3200 registrierte Brotsorten gibt es hier. Viel zu Essen.

Liebe Gemeinde!
Wir wollen nur von drei Brotsorten sprechen.
Alle drei sind biblische Erzeugnisse.
Alle drei haben mit der Freiheit zu tun.
Alle drei weisen uns einen Weg in die Freiheit.
Und der Lieddicht stimmt ein, wenn wir nun in das Haus der Bibel einkehren und dichtet schön:
„Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod, er nährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot, macht schöne rote Wangen oft bei geringem Mahl; und die da sind gefangen, die reißt er aus der Qual!“
Also, auf ihr lieben Seelen von Lauf. Laßt uns ins Lokal der Bibel einkehren.
Und mit diesem Liedvers „Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod, er nährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot, macht schöne rote Wangen oft bei geringem Mahl; und die da sind gefangen, die reißt er aus der Qual!“ sind wir gleich bei der ersten Brotsorte.
Es ist das Brot der Freiheit. Diese Brotsorte geht auf das jüdische Passafest zurück.
Beim Passafest sitzen Jüdinnen und Juden nach der Synagoge im Haus zusammen und feiern den sogenannten Seder, eine Hausliturgie mit allen Sinnen. Im Laufe des Seders wir gelesen und getrunken, gegessen und gesungen, gelacht und gedacht. Und es werden Mazzen, das ungesäuerte Brot gegessen.
Das häusliche Fest wir mit dem Verzehr der ersten Mazza eröffnet. Und es wird gesagt:
Dies ist das Brot des armen Mannes, das unsere Vorfahren im Land Ägypten gegessen haben..“ Diese erste Verkündung konzentriert sich auf die Mazza als Symbol für die Armut, die das jüdische Volk während seiner Sklaverei in Ägypten erlitten hat.
Später in der häuslichen Liturgie heben Judinnen und Juden dann die Mazze wieder auf und sie konzentrieren sich auch auf die Tatsache, dass die Mazze gegessen wurde, als Gott das Volk Israel aus Ägypten geführt hat. Diese Mazze wird dann als Brot der Freiheit gegessen.
Deinen dreifachen Geschmack hat dieses Brot der Freiheit.
Zuerst lehrt es und, dass der Weg in die Freiheit nicht viel Materialität braucht.
Wasser und Mehl. Auf keinen Fall Hefe. Einfach, klar und schnell.
Das Brot der Armut, wird dann zum Brot der Freiheit.
Und ein katholischer Theologe, Tomas Halik, schärft uns ja wieder und wieder ein, dass das Problem der Kirche nicht der Atheismus oder die Ungläubigkeit sind, sondern ein dumpfer Konsumismus und unbändiger Materialismus der westlichen Welt.
Das wussten die Bettelorden, dass wussten viele Theologen, dass sich nur eine arme Kirche erneuern kann. Und vielleicht ist es sogar gut, dass die große Konsum- und Steuerparty, dass die dagobertinische Phase der Kirche, wie das genannt wurde, bald aus ist.

Liebe Gemeinde!
Neben der Gewürzmischung von Armut und Freiheit, lehrt uns das Brot der Freiheit noch etwas. Freiheit ist für uns Gläubige immer etwas Gegebenes, etwas Verdanktes, etwas göttlich Initiiertes.
Gewaltig wird das in der biblischen Exodusgeschichte erzählt: Plagenerzählungen und göttliche Demütigung der Mächtigen, Wegweisung mit göttlicher Wolken- und Feuersäule, göttliche Errettung vor den Feinden und die Wüste als göttlicher Ort der Offenbarung.
Die Freiheit des Volkes Israel ist also das Geschenk des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs.
Die Freiheit des Volkes Israel ist also das Geschenkt des Gottes Saras, Rebekkas, Rahels und Leas.
Und noch etwas lernen wir aus der Geschichte des Brotes der Freiheit.
Die Befreiung wir nicht als Triumphalismus gefeiert.
Das Jüdische und das biblische Israel werden immer wieder sozialethisch daran erinnert, dass man selbst Sklave war und in Armut lebte. So zum Beispiel bei vielen Begründungen der Gebote. Im wichtigsten Buch der Bibel, dem dritten Buch Mose heißt es z. B. (3. Mo0se 19):
„33 Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. 34 Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der HERR, euer Gott.“
Und natürlich kennt der pharisäisch geschulte Völkerapostel dieses Denken, wenn er der römischen Gemeinde einschärft (Römer 12,15). „Freut euch mit den Fröhlichen! Weint aber auch mit den Trauernden!“

Liebe Gemeinde!
Biblische Freiheit ist also immer auch eine göttlich gesetzte, wenn ihr so wollt, metaphysisch gegründete Freiheit.
Und biblische Freiheit wird immer auch eine Freiheit zu etwas.
So denkt das die Bibel: Freiheit ist immer eine Freiheit zu etwas, für etwas, eben verdankte Freiheit.
Und von dieser so gründeten Freiheit ist man frei, etwas frei und souverän in der Welt zu tun. Zum Beispiel die Gebote Gottes zu halten!
Nur geschenkte und verdankte Freiheit ist wirklich frei. Das lehrt das Brot der Freiheit.
Das ist etwas völlig anderes als es der Sponti-Spruch „High sein, frei sein, Terror muss dabei sein“ intoniert. Und dann frißt die Revolution ihre Kinder.
Das ist etwas völlig anderes als der Freiheitanspruch der Autokraten, amerikanischer, russischer oder chinesischer Provenienz. Und dann werden sich diese Ansprüche der Autokranten gegenseitig nivellieren.
Das ist etwas völlig anderes als die Rautenfreiheit, wo Deutschland im Grunde in eine vermeintliche Schlafwagenfreiheit eingelullt wurde. Und jetzt müssen wir um unsere Freiheit kämpfen, wie es der Kritiker des Islam Hamed Abdel-Samad in seinem Buch „Preis der Freiheit“ schreibt.
Aber werden wir nicht zu politisch.
Kommen wir lieber zur zweiten biblischen Brotsorte, wenn man das Manna heute mal so als Ersatzbrot bezeichnen darf.
Nach den Mazzen, das Manna und damit das Sabbatbrot.
Im Predigtwort heißt es ja: „49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe.“
Im Ort der Offenbarung, der Wüste, nährte Gott sein Volk mit Manna.
In der jüdischen Tradition wird gelehrt, dass das Manna, das über 40 Jahre in der Wüste geben wurde den Israeliten Zeit gab, das Wort Gottes zu lernen. Ohne die Sorge um das tägliche Brot konnte also die Tora studiert werden, also die Gebote und Lebensweisen jüdischen Lebens (Wenig, 164).
Und das wäre was, wenn die Kirchen wieder anfingen das Wort zu lernen und zu studieren!
Und der Pastor ein Pastor legens wäre. Und nicht ein pastor theatralicus und dergleichen mehr.
Am Schabbat werden dann zwei Sabbatbrote gebacken.

Eben weil Gott schon in der Bibel immer doppelte Ration gab.
Damit konnte die Freiheit des Schabbats ganz Gott gewidmet werden.
Das ist ja das beste Schöpfungsprodukt des Schöpfungsprodukt: Gott hat am siebten Tag das aller Beste geschaffen. Zeit für Gott. Eine sabbatliche Kultur!
Und das kann man schön beobachten, wenn wir mit Jüdinnen und Juden den Schabbat feiern.
Da wird richtig Brotzeit gemacht. Da wird richtig mit den Kindern getafelt und gespielt.
So sage ich mir, hatte mein Essen mit meinem Großvater fast etwas sabbatliches.
Im Grunde war das ein Moment einer sabbatlichen Kultur mitten in einem einfachen christlichen Haushalt. Einer Kultur der Unterbrechung und deshalb der Freiheit.
Daran erinnert ja das Sabbatbrot und der Segen über das Brot: Wir sind Kinder Gottes.
Eben nicht verzweckt als Arbeits-, Konsum- Steuer- und was weiß ich für -Sklaven.
Wir sind frei Geschöpfe des Höchsten, der die Gotteszeit geschenkt hat, die Brotzeit des Himmels auf Erden.

Liebe Gemeinde!
Zweimal haben wir schon Brotzeit gemacht.
Mit dem Brot der Freiheit von der in Gott gegründeten Freiheit gehört.
Mit dem Ersatzbrot des Mannas von der Freiheit einer sabbatlichen Kultur.
Und zum Schluss zum Brot des letzten Mahles Jesu: Brot der Ewigkeit. Eine Brotzeit ewigen Heils.
Nur die letzten Brotzeit befreit und von der Vergänglichkeit.
Johannes schreibt ja:
„47 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens. 9 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. 51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“
Das Abendmahl ist für uns die Brotzeit auf den Weg in die Ewigkeit.
Als Pilger kosten wir mitten in der vergänglichen Zeit von der Ewigkeit.
Liebe Schwestern und Brüder: Wichtig ist, dass wir unser Leben in Christus gründen, im Brot des Lebens.
Das macht uns frei von der Welt.

Ja, manchmal frage ich mich, ob die Christinnen und Christen deshalb mehr Frei-von- Etwas- Leben als Jüdinnen und Juden ihr religiöses Leben immer als „Frei-zu-etwas“ gestalten.
Ja, manchmal frage ich mich, ob das Christentum deshalb mehr Lebensverzicht und Askese hervorgebracht hat als das Judentum lebenszugewandt, witzig und fröhlich lebt.
Ja, manchmal frage ich mich, ob bei uns deshalb die Orthodoxie und dort die Orthopraxi eine so große Rolle spielen.
Aber das ist vielleicht zu holzschnittartig.
Wir wollen ja nicht, dass aus der Brotzeit eine plumpe Stammtischjause wird.
Liebe Gemeinde!
Gehen wir heute nach Hause von der Brotzeit mit Geschmack verdankter Freiheit.
Mit der Gewürzmischung Armut-Freiheit.
Mit einer sabbatlichen Esskultur und Christus als Brot des Lebens, als Befreier und Retter.
Luther hatte tiefste Erfahrungen der Freiheit beim Studium der Heiligen Schrift gemacht.
Hier hat sich ihm die christliche Freiheit in ihrer ganzen Tiefe erschlossen.
Zur Freiheit hat uns Christus befreit, hat Luther im Brief des Apostel Paulus gelesen.
Und das bedeutete für Luther eine Theologe des Kreuzes. Der gekreuzigte und auferstandene Christus ist der Grund seiner Freiheit. Das Wort vom Kreuz hat Luther wieder und wieder verkostet. Es war seine Leibspeise. Eine ewige Brotzeit mit dem Wort vom Kreuz!
Und warum nicht nach Hause gehen und nochmals Brotzeit gemacht.
Mit dem Wort vom Kreuz. Also gesegnete Mahlzeit und Freiheit!
Amen!

Kanzelsegen: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ Gemeinde: Amen.

3. Fastenpredigt

“Freiheit, Selbstbestimmung und Hingabe – was kann die Psychiatrie und Psychotherapie hierzu beitragen”

mit Prof. Dr. med. Thomas Kraus, Johanniskirche Lauf 2025
Predigttext Johannes 18,28-19,5 – Ein scheinbar wehrloser König

Liebe Mit-Christinnen und Mit-Christen,

wir befinden uns in der Fastenzeit – einer Zeit der Reflexion, des Verzichts und der inneren Neuausrichtung. Es ist eine Zeit, in der wir uns fragen (insbesondere angesichts der weltpolitischen Umbrüche): Wie frei sind wir eigentlich – und wie lange noch? Was bedeutet es, frei zu sein? Was heißt es, wahrhaft frei zu sein?
Ein Abschnitt aus dem Johannesevangelium zeigt uns eine zutiefst paradoxe Situation: Jesus steht vor Pilatus, er ist gefangen, misshandelt, verspottet – was hat das mit Freiheit zu tun?

Hören wir den Text aus Johannes 18,28 – 19,5:
„Sie führten Jesus von Kajaphas zum Prätorium; es war früh am Morgen. (…) Pilatus ging zu ihnen hinaus und sagte: Welche Anklage erhebt ihr gegen diesen Menschen? (…) Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. (…) Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. (…) Pilatus trat wieder hinaus und sagte: Seht, ich bringe ihn zu euch heraus, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. Jesus kam heraus, trug die Dornenkrone und den Purpurmantel. Pilatus sagte zu ihnen: Seht, der Mensch!“

Ein bedrückender Text, wie ich finde, aber gleichzeitig ein schockierend aktueller! Ich denke hier sofort an die ungerechten Verhaftungen von Regimegegnern, die wir derzeit wieder zuhauf erleben. Und es fällt mir Dietrich Bonhoeffer ein, der ebenfalls hätte fliehen können, der es stattdessen als seine Aufgabe sah, freiwillig im Land zu bleiben – und damit ins Konzentrationslager und schließlich den Tod zu gehen. Was für ein Mensch!
Jemand der äußerlich vollkommen unfrei ist, entscheidet sich bewusst und innerlich frei, seiner Berufung zu folgen, auch wenn sie in den Tod führt, vielleicht um ein Zeichen zu setzen, dass die innere Freiheit nie zu beschränken ist durch äußeren Zwang. Eine Selbstaufopferung aus einer Mission heraus – also für andere, für uns – wie bei Jesus.
Auf der anderen Seite sehen wir in der Psychiatrie und Psychotherapie immer wieder Menschen, die aus Selbstaufopferung ins Burnout gerutscht sind, sie sind meist schwer depressiv und wollen manchmal nicht mehr leben. Was ist hier der Unterschied zum vorigen Fall? Jemand der äußerlich vollkommen frei ist, wird innerlich von solch massiven Zwängen, Unsicherheiten und Abhängigkeiten geplagt, dass er nicht mehr nein sagen kann, wenn es darum geht, auch mal eine Pause einzulegen, oder den pflegebedürftigen Angehörigen einmal in die Kurzzeitpflege zu geben, oder dem Chef in der Arbeit gegenüber nein zu sagen, wenn er weitere Arbeit in der Freizeit und am Wochenende einfordert. Wo kommt diese innere Unfreiheit her? Manchmal aus schlechtem Gewissen, aus eingeimpften Schuldgefühlen oder übertragenden Leistungsansprüchen. Manche fühlen sich nur gemocht, wenn sie Übermenschliches leisten, manche erhoffen sich endlich Lob und Liebe von den Eltern zu bekommen, auch wenn diese vielleicht schon tot sind. Dann fällt mir oft der Spruch Jesu ein, „der Lahme kann nicht dem Kranken helfen“. Er verlangt also diese Form der Selbstaufopferung gar nicht von uns.
Fassen wir zusammen: es gibt auch äußere Unfreiheit bei maximaler innerer Freiheit und maximale äußere Freiheit bei vollkommener innerer Unfreiheit.

Was ist überhaupt Freiheit und wie hängt sie mit Selbstbestimmung und Selbst-Verantwortung zusammen?

1. Freiheit – die Basis eines gleichschenkligen Dreiecks

Freiheit bedeutet im Kern die Möglichkeit, zwischen Alternativen zu wählen. Sie kann sich auf äußere Umstände (z. B. politische oder finanzielle Freiheit) oder innere Prozesse (z. B. Angst-Freiheit, Willensfreiheit) beziehen.
Ein depressiver Mensch mag äußerlich alle Freiheit der Welt haben – doch in seinem Inneren fühlt er sich wie in einem Gefängnis. Jemand mit einer Angststörung vermeidet bestimmte Situationen, weil sie ihn zu sehr überfordern. Ein Suchtkranker erlebt den bitteren Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Kontrolle und dem Zwang seines Verlangens. Und wir alle kennen die inneren Kämpfe zwischen dem, was wir eigentlich wollen, und dem, was wir aus Angst, Bequemlichkeit oder Gewohnheit tun.

Freiheit lässt sich also auch unterscheiden in:

Negative Freiheit: Freiheit von äußeren und inneren Zwängen (z. B. keine Diktatur, keine Bevormundung, keine befehlenden Stimmen im Kopf). Oder:

Positive Freiheit: Freiheit zu – also die Fähigkeit, das eigene Leben bewusst zu gestalten, also über sich selbst zu bestimmen.
Freiheit ist dabei die Voraussetzung für Selbstbestimmung – aber allein, als Freiheit an sich ist sie noch nicht sinnvoll. Ohne Reflexion kann sie in Willkür, Egoismus oder sogar in die Selbstzerstörung führen.

2. Selbstbestimmung – die Ausgestaltung der Freiheit

Selbstbestimmung bedeutet, das eigene Leben bewusst und reflektiert zu gestalten – auf der Grundlage der eigenen Werte, Bedürfnisse und Überzeugungen.

Sie setzt Freiheit voraus, denn man kann sich nur selbst bestimmen, wenn man auch entscheiden darf.

Sie erfordert aber auch innere Reife, z. B. die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung, Selbstkritik, Impulskontrolle und Perspektivübernahme.

Psychisch gesunde Menschen können in der Regel selbstbestimmt handeln, davon gehen wie aus. Bei schweren psychischen Erkrankungen (z. B. Psychosen, Manien, schwere Depressionen) kann diese Fähigkeit eingeschränkt sein – und dann müssen andere (z. B. Ärzte, Angehörige, rechtliche Betreuer, Richter) über uns in der Krankheit entscheiden. Wir sprechen von Fürsorge. Sie muss engen Grenzen folgen und durch gesellschaftlich festgelegte Regeln (also Gesetze) beschränkt sein. Der sog. natürliche Wille, sich in der Psychose nicht behandeln zu lassen, und den befehlenden Stimmen zu folgen, z.B. sich umzubringen, darf nicht über dem sog. freien Willen stehen, der ohne Krankheit zu einem selbstverantworteten Leben befähigen würde. Es geht also darum, durch – vorübergehenden und maßvollen Zwang zur Behandlung – den krankheitsbedingt verschütteten freien Willen wiederherzustellen. Schwierig – aber nötig – und möglich. Bei ethisch schweren Abwägungen haben wir mittlerweile auch die Möglichkeit geschaffen, ein unabhängiges Ethik-Konsil einzuholen.
Damit sind wir beim Begriff der Verantwortung angekommen, dem 3.Schenkel unseres Dreiecks nach Freiheit und Selbstbestimmung.

3. Verantwortung – die Konsequenz

Verantwortung bedeutet, für die Folgen des eigenen Handelns einzustehen – gegenüber sich selbst, anderen Menschen und der Gesellschaft.

Wer frei ist und sich selbst bestimmt, trägt auch Verantwortung.
Aber wie oft fliehen wir vor dieser Verantwortung! „Ich kann nichts dafür, so bin ich halt.“ „Es ist mir zu anstrengend, mich zu verändern.“ „Die anderen sind schuld an meiner Situation.“ Doch Verantwortung übernehmen bedeutet, dass wir uns nicht nur als Opfer unserer Umstände betrachten. Machen wir uns klar: Wir haben immer eine Wahl!

Verantwortung macht deutlich, dass Freiheit nicht grenzenlos sein kann – denn sie endet dort, wo die Freiheit anderer verletzt wird.

In einer ethisch orientierten Gesellschaft ist Freiheit nie Selbstzweck, sondern immer auch in Beziehung zu anderen zu verstehen. Es besteht eine Verantwortung für das Gemeinwohl, die Fürsorge füreinander.
Fürsorge darf aber auch nicht ausgenutzt werden von autoritären Staaten, die Oppositionelle und Andersdenkende sowie psychisch Kranke ausgrenzen, wegsperren und psychiatrisieren.
Lassen Sie mich wieder zusammen: Wie ist das Zusammenspiel zwischen Freiheit, Selbstbestimmung und Verantwortung?

Freiheit bedeutet, nicht beschränkt zu sein durch etwas oder für etwas.

Freiheit ermöglicht Selbstbestimmung.

Selbstbestimmung ohne Freiheit ist eine Illusion.

Freiheit ohne Verantwortung wird zu Egoismus.

Verantwortung ohne Freiheit führt zu Fremdbestimmung oder autoritärem Zwang.
In einer menschlichen, gerechten und seelisch gesunden Gesellschaft gehören alle drei zusammen – wie drei Seiten eines stabilen Dreiecks

Wie erreicht man nun innere, geistige Freiheit und wie kann uns die Psychiatrie und Psychotherapie dabei helfen?

Das Ziel vieler unserer Therapien ist klar: Freiheit und Selbstbestimmung wiederherzustellen, wenn sie durch Krankheit eingeschränkt sind.
Hierzu können wir mittlerweile auf eine Vielzahl von biologischen Mitteln zurückgreifen wie Medikamente, Hirnstimulationsverfahren, physikalische Reize oder Schlafphasenverschiebungen. Wir greifen also direkt und indirekt in den Gehirnstoffwechsel ein, um krankheitsbedingte Folgen zu normalisieren.
Heißt das, unser Denken ist nur ein Produkt unseres Gehirns, der Geist kann also gar nicht frei sein?
Ja, sagt die moderne Neurowissenschaft, wir sind physikalisch-biologisch determiniert, ein Produkt aus Strahlen, Atomen und Stromflüssen sowie von Zellteilung, Hormonen und Signalübermittlung. Machen wir die Probe: Überlegen Sie, ob ein umfallender Baum ein Geräusch macht, wenn sie viele Kilometer entfernt sind! Wer sagt ja, wer sagt nein? Farben gibt es ebenfalls nicht in der Natur.
Unser Gehirn erschafft unsere Welt, wir bekommen in einer Art Tunnel die Illusion einer Welt vorgespielt, eines Ichs und eines Bewusstseins des Ganzen. Der Philosoph Thomas Metzinger spricht von einem Ego-Tunnel in seinem gleichnamigen Buch. Unsere Wahrnehmung ist prediktiv, also vorhersagend, wir bekommen aus dem Gedächtnis also schon den vorhergesagten nächsten Moment als Ist-Zeit-Erleben eingespielt. Wenn wir gedankenversunken die Straße entlanggehen, merken wir dies nur, falls wir stolpern, denn dann ist ein Vorhersagefehler passiert. Wer von Ihnen hat sich noch nicht schon einmal gewundert, dass er oder sie minutenlang Auto gefahren ist, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein. Unser Gehirn steuerte uns unbewusst, während wir uns einem Gedankenfluss hingegeben haben, den wir meistens ebenfalls nicht initiiert hatten. Das Gehirn hat ausgerechnet, dass das Körperbudget nach mehr Glucose-Zufuhr ruft für die beabsichtigte Autofahrt und hat Hungergefühle eingespielt, ein wenig unangenehm gefühlsmäßig gefärbt, im Bauch lokalisiert und außerdem Gedanken an die Nahrungsbeschaffung verbunden mit der Angst, es nicht rechtzeitig zum Einkaufs-Laden zu schaffen, bevor er schließt. Alles eingespielt. Was ist daran frei? Also sind wir determiniert?
Die Frage nach der Freiheit und einer möglichen Vorbestimmung ist so alt wie die Menschheit und die Philosphiegeschichte selbst. Vor genau 500 Jahren 1525 verfasste hierzu Martin Luther – wie Sie wissen, feiern wir dieses Jahr auch 500 Jahre Reformation im Nürnberger Land – seine berühmte Schrift „De servo arbitrio“ („Vom unfreien Willen“), als Antwort auf den Humanisten Erasmus von Rotterdam, der die Lehre vom freien Willen vertrat. Luther widersprach entschieden: „Der menschliche Wille vermag nichts als sündigen.“ Luther sah den Menschen als nicht fähig an, aus eigener Kraft das Heil zu erlangen („verderbt“). Sein Wille sei durch die Sünde so sehr gebunden, dass nur Gott ihn befreien könne. Der Mensch sei also nicht wirklich frei in seinen Entscheidungen, sondern stehe immer unter einem Einfluss – entweder der Gnade Gottes oder der Macht der Sünde.
Manche sahen in dieser Lehre einen radikalen Determinismus: Wenn der Mensch keinen freien Willen hat, ist er dann überhaupt verantwortlich für sein Handeln? Das gleiche gilt für den neurowissenschaftlichen Determinismus. Kann eine Gesellschaft überhaupt jemanden bestrafen, wenn es gar keine Schuld gibt?
Wie kommen wir hier nun zu einer Lösung? Gibt es doch einen freien Willen?

Evolutionsbiologisch brachte es dem Menschen Vorteile, abstrakte Begriffe zu entwickeln wie Freiheit, Schuld, Gemeinsinn oder Liebe. Dadurch konnten sich Gesellschaften bilden, die gemeinsam besser überleben konnten. Der Ego-Tunnel ist also vernetzt, d.h. es gibt sich verzweigende Röhren. Und wie die Evolution ein lernendes System ist, so können wir innerhalb dessen auch erziehen und therapieren – und damit den Menschen verändern, formen und ein- oder ausgliedern aus unserer Gesellschaft. Der Determinismus hat also zumindest eine Änderungs-Perspektive in die Zukunft. Auch oder gerade wenn es nur eine Illusion ist, können wir sie uns trotzdem zunutze machen für ein Wirken und Verändern in der Welt.
Doch, reicht uns das? Wo ist der Geist bei alledem geblieben? Ist wirklich alles Geistige aus, wenn unser Gehirn nicht mehr arbeitet? Gibt es nicht wenigstens Teile eines höheren Geistes in uns, die überleben und sich vielleicht im (denkbaren) Jenseits vereinen – mit dem höheren Geist, also mit Gott? Gibt es überhaupt einen Sinn ohne ihn? Hier setzt der Glaube ein.
Als gläubige Menschen tun wir uns also in vielerlei Hinsicht leichter. Wenn alles einen Sinn haben soll und einen Anfang, dann geht dies nicht ohne einen Verursacher und evtl. Zielgeber. Also nicht ohne einen Geist. Weil wir glauben, gibt es einen Geist.
Und was sagt nun Luther zum Determinismus-Vorwurf? Luther meinte nicht, dass der Mensch keine Wahl habe – sondern dass er ohne Gottes Hilfe nicht das Gute wählen könne. Die Freiheit zur wahren Entscheidung kommt erst durch Gottes Gnade.
In der Psychiatrie verwenden wir nicht nur biologische Mittel, nein wir führen intensiv Gespräche, führen Psychotherapie durch. Psychiatrie ist Beziehungsmedizin. Wir helfen Patientinnen und Patienten einen freien Kopf zu bekommen, frei zu werden von ihren belastenden Gedanken, ihrem Grübeln und ihren Sorgen. Sie sollen ihren Geist wieder selbst steuern. Geht das denn? Kann man den Gedankenfluss stoppen? Können wir überhaupt „nicht-denken“? Machen wir folgendes kleines Experiment: Achten Sie einmal ganz genau auf den Beginn Ihres nächsten Gedankens!? Bei wem ist einer gekommen? Bei wem nicht? Na also. Wir können ja doch Gedanken steuern!?
Halten Sie nun inne und fixieren Sie mit den Augen einen Punkt vor Ihnen, betrachten Sie genau dessen Struktur für wenige Sekunden. Wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit nun Ihrem Atem zu und genießen Sie einen langsamen, bewussten Atemzug. Gönnen wir uns noch einen kurzen Moment der Stille.
Diese Übung der Achtsamkeit sollten Sie mehrmals täglich wiederholen, auch indem Sie sich eine Pflanze betrachten, ein Bild oder einen interessanten Gegenstand. Die Autoren des Buches „Achtsamkeit to go“ beschreiben heilende Wirkungen ähnlich einer längeren Meditationsarbeit am Stück – nur eben kürzer.
Patienten, die schon morgens und abends im Bett von Ängsten oder Grübelgedanken geplagt werden, lernen z.B., sich auf einen Punkt an der Decke oder die Geräusche der Umgebung wie das Zwitschern der Vögel, zu konzentrieren, sie beobachten ihre Atmung, zählen rückwärts von Hundert, sagen positive Sätze (sog. Affirmationen) wie „Ich vertraue auf meine innere Stärke“ oder sie sprechen ein Gebet, wenn sie gläubig sind. Wenn sie keinen religiösen Hintergrund haben, nutzen viele gerne die uralten Metta-Sätze „Möge ich glücklich sein, möge ich gesund sein, möge ich behütet und beschützt sein, möge ich in Frieden und in Leichtigkeit leben“. Sie lernen also, ihre Gedanken zu steuern, sie nicht mehr ihrem freien Lauf zu überlassen, der nichts anderes als ein gespeichertes falsches (eben krankes) Konzept darstellt, das ihnen ständig vom Gehirn eingespielt wird.
Was erreichen wir also mithilfe dieser Achtsamkeitstechniken? Wir treten heraus, aus dem Auto-Pilot-Modus unseres Gehirns, wir bestimmen nun wieder selbst, was der Inhalt unseres Bewusstseins ist, wissend, dass wir unsere Gedächtnis-Konzepte damit umschreiben, positives Denken ruft positive Gefühle hervor und verändert unser Handeln, das wiederum auf die Gefühle zurückwirkt. Außerdem erzeugen wir bewusst und selbst neue Vorhersagefehler im neuropsychologischen Sinn, d.h. wir kommen tatsächlich in die Wirklichkeit (selbstverständlich innerhalb unseres Tunnels) und leben eine Zeitlang in der Echtzeit. Deshalb ist es auch anstrengender und erschöpfender und wir können es nicht dauerhaft durchhalten- dafür werden wir aber mit der Zeit immer besser darin, Achtsamkeit ist eine Lebensaufgabe.
Mithilfe von Psychotherapie und Achtsamkeitstechniken wird gedankliche Steuerung erreicht und damit innere Freiheit erzeugt, die volle Selbstbestimmung wird möglich. Ein verantwortliches Leben kann daraus resultieren.
Der Kreis schließt sich wieder und ich komme zurück auf das Zusammenwirken von Freiheit, Selbstbestimmung und Verantwortung. Martin Luther drückt dies wunderbar aus in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) mit folgenden Worten:
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Der erste Satz betont die Freiheit und Selbstbestimmung des gläubigen Menschen: Durch den Glauben ist er frei von äußerem Zwang, sogar von Gesetzlichkeit, auf jeden Fall von Schuld.
Der zweite Satz zeigt, dass diese Freiheit nicht zur Willkür führt, sondern zur Verantwortung und Hingabe an andere. Der christliche Mensch handelt aus freiem Willen zum Dienst – nicht aus Zwang also, sondern aus Liebe und Hingabe.
Luther bringt hier auf den Punkt, dass wahre Freiheit immer Verantwortung einschließt, und dass Selbstbestimmung nicht egoistisch, sondern beziehungsorientiert gelebt werden soll.

Kommen wir damit nochmals auf den heutigen Predigttext zurück.

Jesus lebt uns einen radikalen Freiheitsbegriff vor, die höchste Form der Freiheit zu etwas – nämlich die Hingabe an seine höhere Bestimmung, seine Mission, an den Gehorsam seinem Vater gegenüber und dessen Willen. Selbstaufopferung aus vollkommener Freiheit heraus – nicht aus innerem Zwang oder falsch verstandenem Selbsterlösungswillen heraus. Seine Freiheit war nicht die eines Rebellen, sondern die einer tiefen inneren Überzeugung.
Jesus sagt in Johannes 10,18: „Niemand nimmt es [mein Leben] mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin.“
Diese Freiheit unterscheidet Jesus von Pilatus, von den Hohenpriestern, von der tobenden Menge: Pilatus ist gefangen in seiner Angst vor Rom und dem politischen Druck. Die Hohenpriester sind gefangen in ihren Vorstellungen von Macht und Gesetz. Die Menge ist gefangen in ihrem blinden Hass und ihrer Manipulierbarkeit.
Jesus allein bleibt frei, weil er nicht aus Angst oder Zwang handelt, sondern aus Liebe. Und was geschieht? Pilatus bringt ihn hinaus und sagt: „Seht, der Mensch!“ Ja, genau das ist er: Der wahre, vollkommene Mensch. Der Mensch, der sich selbst hingibt – nicht aus Schwäche, sondern aus Freiheit.
Hierin liegt eine tiefe geistliche Wahrheit: Wahre Freiheit ist nicht die Fähigkeit, alles tun zu können – sondern die Fähigkeit, das Gute zu wählen. Insbesondere in der unserer modernen Welt, in der wir oft hören: „Ich bin frei, wenn ich mich nicht einschränken lasse, wenn ich tun kann, was ich will.“ Aber sind wir wirklich frei, wenn wir jedem Impuls nachgeben? Ist der Süchtige frei, der nicht aufhören kann zu konsumieren? Ist der von Zorn erfüllte Mensch frei, der nicht vergeben kann? Nein. Wahre Freiheit liegt nicht im Beliebigen, sondern im Wahren.
Was bedeutet das für uns? Es bedeutet, dass wir jeden Tag vor einer Entscheidung stehen: Leben wir eine Freiheit, die sich selbst genügt – oder eine Freiheit, die sich verschenkt?

Und genau hier setzt die Fastenzeit an – quasi als persönliche Einübung der echten Freiheit:
Wir fasten nicht, um uns zu quälen. Wir fasten, um uns selbst besser zu verstehen. Wir fasten, um zu spüren, dass wir nicht von äußeren Dingen abhängig sind. Wir fasten, um neu zu lernen, was es bedeutet, wahrhaftig frei zu sein.
Denn die wahre Freiheit beginnt nicht draußen in der Welt – sie beginnt in uns selbst.
Wenn Sie möchten, dann stellen Sie sich folgende Fragen:
Was hält mich davon ab, wirklich frei zu sein? Gibt es Ängste, die mich einschränken? Gibt es Gewohnheiten, die mich steuern? Gibt es Dinge, die ich loslassen müsste, um freier zu werden?
Vielleicht ist genau diese Fastenzeit eine Gelegenheit, sich diesen Fragen zu stellen. Nehmen Sie sich die Zeit! Wenn nicht jetzt, wann dann? Planen Sie für sich selbst täglich Zeit ein, 10 min morgens und abends, meditieren Sie, schreiben Sie Tagebuch, gehen Sie achtsam mit allen Sinnen spazieren. Beten Sie.
Schalten Sie Ablenkungen aus, gönnen Sie sich Handy freie Zeiten. Lauschen Sie auf die Stille! Die Antwort darauf wird aus Ihrem Herzen kommen!
Ich komme zum Schluss:
Freiheit ist kein Zustand, sondern eine tägliche Entscheidung. Eine Entscheidung, sich nicht fremdbestimmen zu lassen, nicht von äußeren und inneren Zwängen, von Ängsten oder Gewohnheiten. Eine Entscheidung für Selbstverantwortung und innerer Klarheit.
Die Fastenzeit ist nicht in erster Linie eine Zeit des Verzichts, sondern eine Zeit der wahren Befreiung. Wahre Freiheit ist Hingabe. Jesus hat uns zur Freiheit befreit. Leben wir sie!
Amen.

Kirchweih Dehnberg (Predigtskizze) von Jan-Peter Hanstein

Lk 18, 9-14  Lektorin Pharisäer und Zöllner

Nikolauskirche Dehnberg
Nikolauskirche Dehnberg

18,9 Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein,

und verachteten die andern, dies Gleichnis:

18,10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel,

um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.

18,11 Der Pharisäer stand für sich und betete so:

Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher

oder auch wie dieser Zöllner. 18,12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.

18,13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!

18,14 Ich sage euch:  Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.

Glaubensbekenntnis

EG 601 „Singt dem Herrn und lobt ihn“

Predigt

Liebe Gemeinde,

Jesus gibt uns hier eine Anleitung zum Beten, wie er es mit dem Vater Unser gegeben hat.  HERR LEHRE UNS BETEN!

Es geht nicht um das Gebet an sich, sondern um eine innere Einstellung.

Das ist neu an Jesus – zwei machen äußerlich dasselbe, das verlangte Ritual –

Aber nur der eine ist am Ende vor Gott gerechtfertigt. 18,14

18,9 Er sagte aber zu einigen, die  sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:

Manchmal wäre es besser nur wenige Worte zu beten. Als viele Worte zu verlieren und damit den Überblick auf was es ankommt. Nicht plappern wie die Heiden oder darüber zum Heide zu werden… Analysieren wir das Gebet des „Pharisäers“:

Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute,

-> Danken für etwas, was Gott nicht gegeben hat.  Dazu Hochmut: sich darüberstellen und Verallgemeinerung: nicht wie die anderen! Wir und die anderen!!

Im Gebet haben wir uns immer solidarisch mit den Menschen zu verhalten angesichts des großen Unterschiedes zu Gott.

Gutheißen der eigenen Taten –>  kein Räuber, Betrüger, Ehebrecher

oder auch wie dieser Zöllner. 18,12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe

den Zehnten von allem, was ich einnehme.

Braver Kirchensteuerzahler …

Der Pharisäer sieht an sich nur das, was sowieso erlaubt und gewünscht ist. Ein Mensch, der sich nach dem Durchschnitt vergleicht und Gott auch noch dafür dankt. Es fehlt jegliche innere Suche, jede Frage die Gott an uns stellt, und von Gott wird nichts verlangt, keine Bitte, kein Lob – nur Dank für das Gegebene und gegebenen Umständen. Dazu glaubt er frei beten zu können und plappert munter vor sich her.

 Sehen wir auf den Zöllner:

18,13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!

Wir haben uns angewöhnt zu sagen, dass alles Formelhafte, Gewohnte quasi „pharisäerhaft“ ist.

Alles Individualistische Freie sei dagegen von Jesus erwünscht.

Gerade das kann ich aus der Geschichte nicht herauslesen!!

Der Zöllner betet durchaus nicht frei. Sondern das vorgeschriebene Formular zur Sündenvergebung. Mit Gesten der Reue und des Respekts.

Deshalb: (liebe konfis)

Das Sündenbekenntnis am Anfang: natürlich ist es formelhaft. Aber doch verbindet es uns mit allen Konfessionen der Welt. Erfahrung in England: Jugendgottesdienst, Farben, Laser alles: Sündenbekenntnis nach Common Prayer Book zu Zeiten von King James und – los ging es …

Und siehe dieser ging gerechtfertigt hinunter nach Hause …

ORT DES LERNENS Daher die Psalmen als Schule des Gebets!

Lk 18,10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel,

 „Hinauf in den Tempel:“

Am Tag der Kirchweih frage ich: Warum überhaupt in einen Tempel oder eine Kirche: können die beiden nicht zu Hause beten?

Ist Gott nicht überall?

Ja – aber wo die Gemeinde zusammenkommen will, da werden überall Häuser gebaut. 

Aufgrund der Erfahrung auf Reisen zumindest in PNG – An den heiligen Stätten, den Kirchen kann man gleich sagen, in welchem Zustand die Gemeinde ist.

Deshalb braucht es das Korrektiv der Gemeinschaft, des regelmäßigen Ortes und der Zeit. Alles andere ist Augenwischerei. Wir brauchen unsere Kirche, und wir sollten sie auch so pflegen, das wir diese Sorgfalt und der Respekt vor dem beten in diesem Haus sichtbar wird. Mit den schönen Blumen, mit dem baulichen Zustand und alles drum herum. Ich freue mich an dem renovierten Kirchturm und der neuen besseren Zugänglichkeit.

HERR LEHRE UNS GEMEINSAM BETEN!

Es ist nämlich ein protestantisches Missverständnis, zu meinen, bräuchten die Kirche nicht mehr als Ort der Sündenvergebung, des Hörens auf die Schrift und des Feierns der Sakramente, das alles wäre „äußerlich“! Das ist für mich unernstes Geplapper!

Kirche und Gemeinde braucht eben auch Räume und Orte. Für die Form, das Formular, die Wiederholung, den gewohnten Ort.

Hier in der Kirche und zu Hause. Wir brauchen die Tradition und das Verständnis dafür, damit wir nicht in eine Gotteslästerung hineinfallen, die wir dann nicht einmal mehr merken.

Trotzdem: Wir verlieren beschleunigt viele Mitglieder. Ich weiß nicht, welche Häuser unsere Kirchengemeinde wird aufgeben müssen. Manche Nutzungen werden sich wieder rückwärts bewegen, so wie die Verringerung der Anzahl der Gottesdienste in unserer Gesamtgemeinde. Natürlich steht da die Kirche Dehnberg als kleinster Ortsteil unter besonderem Druck. Wir schließen uns als Kirchenvorstand zusammen, um Dehnberg mit hineinzunehmen in das lebendige Leben der Gesamtgemeinde mit vielen anderen Aktivitäten.

Ich rufe die Kirchenvorsteher und alle anderen dazu auf, die es ernst meinen, mit sich und mit dem, was Gott mit ihnen vorhat, unsere Kirchengebäude nicht zu vernachlässigen und es gegen etwas anderes Subjektiveres zu setzen. Wir verlieren dann alles: das Gebet, den Lobgesang, und die Feier.

Jede Generation hat auch die Aufgabe, ihre Zeit nicht zu verpassen. 

Ich wünsche, dass wir die 7 Kirchen unserer Kirchengemeinde in Ehren halten und erhalten. Johanniskirche, Dehnberg, Kunigundenkapelle, Salvator, Günthersbühl, Christuskirche und St. Jakob.

Wenn wir uns in Konkurrenz zu anderen sehen in unserem Glauben, dann ist der Tod schon im Topf. Ich bevorzuge das alte Wort „Kirchspiel“ – miteinander spielen, singen und  zusammenarbeiten zum Lobe Gottes.

Vieles in unseren Gottesdiensten wird andere und neue Formen annehmen. Wir sind gemeinsam unterwegs. Wichtig ist, dass wir nicht auf andere zeigen und glauben besser zu sein. Gott lenkt den Blick des Zöllners auf sich selbst und dann kann er ihn in die Gemeinschaft einfügen.

Wir brauchen das heilige, Abgegrenzte, das Andere – das TEMPLUM – in unserem Leben, weil sonst alles nur noch Selbstbestätigung oder Selbstperfektionierung wird wie eine Fernsehwerbung!

Die Nikolauskirche wird ihre Funktion erhalten. Noch mehr. Ich wünsche mir, dass sie  geöffnet wird für alle Dehnberger Bürger und die Wanderer, damit sie viele Erfahrungen wie der des Zöllners machen können.

Und siehe dieser ging gerechtfertigt hinunter nach Hause …

AMEN.

3. Fastenpredigt „Führen und geführt werden“ mit Michael Zirlik, Johanneskirche Lauf 2024

Liebe Gemeinde, liebe Familie und Freunde, liebe Weggefährtinnen und -gefährten, liebe Schwestern und Brüder in Gott!

Mehr als 100.000 Ergebnisse zeigt uns Amazon, wenn wir nach dem Begriff „Führung“ suchen. Aber wer hätte gedacht, dass wir ausgerechnet mit der Heiligen Schrift eines der ältesten Bücher überhaupt zu diesem Thema in der Hand halten!?

Predigt Mitschnitt

Ich lese das heutige Predigtwort, den Wochenspruch bei Johannes 12,24:

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“.

Und wer hätte gedacht, dass gerade dieser Satz Impulse geben kann für so viele, aktuelle Fragen, die sich uns bei der Führung von Menschen heute stellen. Mit Führung haben wir alles so unsere Erfahrungen gemacht: Wenn uns z.B. Menschen als Mitarbeitende in der Arbeit anvertraut sind, wenn wir als Verantwortliche z.B. in einem Verein oder in einer politischen Initiative mit anderen zusammen etwas erreichen wollen, oder wenn wir unsere Kinder und Jugendlichen auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben führen. Aber auch, wenn wir selber geführt werden und vielleicht nicht immer glücklich sind mit dem Handeln unserer Chefs! Eine kleine Anekdote: Jemand hat mir mal gesagt er habe den Eindruck, sein Chef handle nach dem Motto – Achtung, ich zitiere wörtlich: „Erfolgreiche Führung ist es, wenn Du Mitarbeitende möglichst geschickt über den Tisch ziehst und sie die dabei entstehende Reibungshitze auch noch als Nestwärme empfinden!“

Ja, diesen Typus Führungskraft gibt es sicher auch, aber insgesamt können wir schon feststellen, dass Menschen, die für Andere Verantwortung tragen, heute ganz schön unter Druck sind: Zerrissen zwischen den vielfältigen Erwartungen, die an sie gestellt werden kommen sie oft selber kaum mit den schnellen und vielen Veränderungen in unserer Welt hinterher und sollen dann auch anderen dabei noch Vorbild sein. Dazu der unglaubliche Druck, es „richtig“ zu machen, Ergebnisse und Erfolge zu erzielen. Aus meiner Erfahrung als Coach kann ich berichten: Viele Führende fühlen sich heutzutage bildlich zusammengequetscht wie die „Nermbergar Brodwerschd zwischen den Weggla – Hälften“. Spass beiseite, hier geht`s auch nicht um „eine Runde Mitleid“, sondern darum, einfach mal sachlich wahrzunehmen, dass heutzutage eben viele Eltern erschöpft, viele Ehrenamtlich Verantwortliche frustriert und viele Führungskräfte gerade mittlerer Ebenen extrem burnoutgefährdet sind. Neueste Studien belegen dies.

Und doch glaube ich, dass diese „Krise der Führung“ auch etwas damit zu tun hat, welches Bild von Führung uns leitet: „Ich muss meinen Laden / mein Team im Griff haben“, „Ich muss immer präsent und verfügbar sein“, „Ich muss motivieren und manchmal auch mit Druck arbeiten, um die Ziele zu erreichen.“, „Ich muss immer stark sein, wissen, wie der Hase läuft und darf keine Fehler machen“, Wir merken schon beim Aufzählen, wie anstrengend sich all das anfühlt. Und die Frage taucht auf: ist das noch zeitgemäß?

Wie also könnte ein Impuls für eine andere, lebendigere, menschlichere und gleichzeitig erfolgreiche Führung aussehen?

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“.

Passend zu dem frühlingshaften Wetter stellen wir uns mal einen richtig schönen großen Garten vor. So mit Blumen, Sträuchern, Bäumen, Zier- und Nutzpflanzen usw.: Nach einem eher klassischen und traditionellen Verständnis von Führung sehen wir dort heute Gärtner und Gärtnerinnen, die milimetergenau säen, sofort jedes nicht geplante Gräschen rausrupfen, mit dem Lineal permanent das Wachstum messen, und vor allem an jedem Blümchen täglich kräftig ziehen, damit es möglichst schnell und in die richtige Richtung wächst.

Aber: Wer auch immer schon mal in einem Garten zu tun hatte, weiß doch, dass es so nicht funktioniert. Stattdessen: Dem Garten eine Struktur und Aufteilung geben, bewusst ansäen und dann vor allem: richtig bewässern, für genügend Licht und Luft und guten Boden sorgen und vielleicht mal mit einem Rankhölzchen stabilisieren und ab und zu mal düngen. Der Rest geschieht ganz von allein.

Wie wäre es, wenn wir uns auch in der Führung von Menschen genau darauf konzentrieren:

Einen Rahmen setzen, Orientierung bieten und alles dazu tun, dass andere bestmöglich wachsen, sich entfalten und Früchte bringen können? Wenn wir uns als Führende also nicht jeden Morgen fragen „Wie bringe ich heute andere dazu, dass sie machen, was ich will?“, sondern stattdessen „Was kann ich heute für andere tun, damit sie sich persönlich weiterentwickeln und die gemeinsamen Ziele bestmöglich erreicht werden können?”

Der heute so populäre Ansatz des “Servant Leadership, der “Dienenden Führung” stellt genau dieses Denken in den Mittelpunkt. Dienen – nicht als unterwürfige Handlung verstanden, sondern als einen Dienst leisten für andere – auf Augenhöhe. Kein Geringerer als Jesus selbst löst diesen scheinbaren Widerspruch zwischen Dienen und Führen auf, wenn er in Markus 10,42 sagt: “…wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein“.

Es war vor vielen Jahren. Eine damals noch recht junge Mitarbeiterin von mir hatte drei Wochen Urlaub am Stück beantragt und auch genehmigt bekommen. Etwa einen Monat vorher kommt sie plötzlich zu mir und sagt: „Hr. Zirlik, ich möchte gerne davor noch eine weitere Woche Urlaub dranhängen.“ Ich hab erst mal innerlich geschluckt, denn eigentlich brauchte ich diese Mitarbeiterin dringend und ich musste sie ja ohnehin schon 3 Wochen entbehren. Und ich brauchte sie: Sie war eine gute und wichtige Mitarbeiterin! Was also tun? Spontan hätte ich entweder zähneknirschend genehmigen, oder mit Verweis auf betriebliche Gründe ablehnen können, halt in der Hoffnung, dass sie ein Einsehen hat. So aber dachte ich mir: Nimm Dir erst mal Zeit, komm ins Gespräch und hör vor allem gut zu. Wir hatten ein sehr vertrauensvolles Arbeitsverhältnis und so fragte ich Sie auch, was sie denn im Urlaub vorhätte. Und siehe da: Irgendwann fiel bei Ihr der Satz „ich brauche diese zusätzliche Woche, weil ich so gestresst und überlastet bin von der Arbeit! Es wird mir alles zu viel!“.

„Ok“ sag ich, „da sieht die Lage schon anders aus! Ich mach Dir mal einen Vorschlag (Wir hatten damals schon die „Duz – Kultur“): Ich verrate Dir jetzt ein paar Tricks und Methoden, wie Du Dich effizienter organisieren kannst und vor allem sprechen wir auch darüber, was Du künftig VON MIR brauchst, um mit hoher Arbeitsbelastung, die wir ja immer wieder haben werden, besser klar zu kommen. In drei Wochen schauen wir nochmal darauf, ob sich die Situation gebessert hat und entscheiden dann nochmal gemeinsam über den Urlaub.“ Zum Glück ließ sie sich auf diesen Vorschlag ein und wir gingen gut eine Stunde intensiv – wie man so schön sagt – „über die Bücher“ miteinander. Und siehe da: Nach drei Wochen hatte sich die Situation deutlich gebessert, die zusätzliche Urlaubswoche konnte von der Mitarbeiterin zu einem anderen, auch für sie selbst viel sinnvolleren Zeitpunkt gelegt werden und nicht nur das: Es war wie eine Initialzündung! In den folgenden Monaten hat diese Dame sich zu einer super produktiven, selbstbewussten, perfekt organisierten Mitarbeiterin entwickelt. Sie hat von sich aus zusätzlich weitere, anspruchsvollere Aufgaben übernommen und ist förmlich über sich hinausgewachsen. Sogar so weit – Ironie der Geschichte – dass sie uns eines Tages leider verlassen hat, um eine andere, noch anspruchsvollere Position wahrzunehmen.

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“.

Zugegeben: Mit Blick auf die Führung von Menschen kann man über das Wort „Sterben“ in diesem Satz schon ganz schön stolpern. Aber ist es nicht so: Das Weizenkorn ist ja nicht im biologischen Sinne „tot“, sondern es verändert sich grundlegend, d.h. unter dem Einfluss von Nährstoffen, Wasser und den lockenden Sonnenstrahlen beginnt es zu keimen, zu wachsen und etwas völlig Neues hervorzubringen. Ein höchst lebendiger und natürlicher Vorgang also. So geht es auch in unserem heutigen Führungsverständnis in erster Linie doch darum, zu Veränderung anzustoßen, Entfaltung zu ermöglichen und Neues in die Welt kommen zu lassen.

Nun, Sie alle werden dem sicher zustimmen. Aber jetzt mal Hand auf`s Herz und ehrlich:

  • Wem fällt es wirklich leicht, wenn z.B. die eigenen Kinder vollkommen andere Wege gehen, als wir für sie gedacht hatten?
  • Wie souverän sind wir wirklich, wenn andere unter unserer Führung Ideen entwickeln, die so viel besser sind als unsere eigenen?
  • Fördern wir wirklich andere Menschen konsequent, auch dann noch wenn sie drohen, plötzlich besser als wir selbst zu werden?
  • Wie bereit sind wir, die Werte der jungen Generationen auch als Bereicherung für unsere Gesellschaft und Arbeitswelt zu betrachten, anstatt nur immer darüber zu schimpfen und zu klagen, dass diese Generation ja angeblich nur zu faul zum Arbeiten sei?
  • Wie gut sind wir überhaupt darin, Kontrolle abzugeben, Unsicherheit auszuhalten und demütig anzuerkennen, dass wir eben auch als Führende nicht „alles im Griff haben“ können?

An diesen Beispielen sehen wir, dass dienende Führung nicht irgendwelche Sozialromantik ist, nicht irgendein Feelgood – Management. Vielmehr geht`s hier um essenzielle Fragen.

Denn:

  • Wir brauchen junge Leute, die gelernt haben, eigenständig und verantwortungsvoll ihren eigenen Weg zu gehen, wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen.
  • Wir brauchen in unseren Unternehmen Innovationen, wenn wir auch künftig wettbewerbsfähig und wirtschaftlich erfolgreich sein wollen
  • Und ja, wir brauchen endlich auch in unseren Kirchen – gleich welcher Konfession – kräftige, ja vielleicht auch manchmal schmerzhafte Veränderungen und mutige, grundlegende Neuerungen, wenn wir auch künftig noch die Menschen erreichen und in der Gesellschaft relevant sein wollen.

Machen wir uns nichts vor: Die Entwicklung hin zu echter, dienender Führung ist nicht einfach und geht vor allem nicht von heute auf morgen. Manche Menschen wollen vielleicht auch zunächst gar nicht so viel Selbstverantwortung übernehmen, sondern wollen lieber die charismatische, heldenhafte Führungskraft, die ihnen genau sagt, was sie zu tun haben.

Eine Führungskraft erzählte mir: „ich wollte in meinem ambulanten Pflegedienst schon lange mehr Verantwortung in die Teams delegieren. Die Mitarbeitenden sollen selber entscheiden, wie sie ihre Dienstpläne gestalten und wann sie Urlaub machen usw. Aber alle haben mir immer wieder erzählt, dass das bei uns nie funktionieren würde. Und dann kommt dieser niederländische Pflegedienst „Buurtzorg“ und macht genau das und man sieht: Es kann doch funktionieren! Aber ich hatte damals einfach nicht die Kraft dazu…“

Auch im heutigen Predigttext wollen die Griechen Jesus sehen, hellenistisch bedeutet dies den Halbgott, den Held, den Sieger. Doch Jesus lässt sich auf diese(!) Führungsrolle nicht ein, sondern konfrontiert sie mit der einfachen, aber tiefgreifenden Wahrheit:

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“.

Ein Satz, ausgesandt wie ein Lichtstrahl vor Jahrtausenden. Er scheint in unsere Gegenwart und leuchtet in die letzten Winkel unserer heutigen Zeit, die so von Polarisierung und Zukunftsangst geprägt ist. Und er hat damit persönliche, gesellschaftliche und politische Bedeutung.

Denn welch großartiges Bild Gottes scheint in diesem Satz auf!

Ist es nicht ein Gott, der uns zuruft: „Mensch, erkenne Deine Talente, mach was aus Dir!

Werde nicht träge und richte Dich nicht gemütlich in Deiner Blase ein. Sondern brich auf! Du bist für den Weg geboren!“, wie es in einem alten Pilgerruf heißt. „Komm raus aus Dir und finde Begleiter, Brüder und Schwestern. Werde in der Begegnung mit anderen Menschen zu dem, der Du sein kannst. Blühe auf, gestalte mit und bring reiche Frucht!“

„Sei mutig und hab keine Angst vor Veränderung: Veränderungen gehören nicht nur zum Leben dazu, sondern Veränderungen SIND das Leben! Nur was tot ist verändert sich kaum noch.“

„Und schenke bitte jenen Anführern keinen Glauben, die Dir weismachen wollen, wir könnten die vielen Krisen unserer Zeit und der Zukunft bewältigen, indem wir einfach so weiter machen wir bisher.“

Ist es nicht ein Gott, der uns alle Freiheit dieser Welt schenkt, unser Leben und unsere Welt in Verantwortung selbst zu gestalten und der uns mit der heiligen Schrift eine Idee, ein Bild – im Managerdeutsch würde man sagen „Eine Vision“ – davon vermittelt, wie dieses Leben gut gelingen kann?! Seine Gebote z.B. sind doch keine Gesetze, bei denen uns im Jüngsten Gericht detailliert aufgerechnet wird, wie oft wir uns im Wortlaut daran gehalten haben oder nicht. Sondern sie sind aus meiner Sicht „Life Hacks“ für gelingendes Leben, wenn wir uns ihren Sinn erschließen!

Ein Beispiel? Wenn wir lesen „Du sollst nicht falsch aussagen“, dann ist es natürlich trotzdem in Ordnung, wenn wir auf die schnelle Frage „Na, wie geht`s“ antworten mit „Alles gut“, anstatt all unsere Sorgen und Nöte dem anderen vor die Füße zu kippen. Aber wenn wir lesen „Du sollst nicht töten“, dann könnte das vielleicht im tieferen Sinne auch bedeuten:

„Fang am besten gar nicht erst damit an, Misstrauen und Hass gegen bestimmte Menschengruppen zu säen. Fantasiere nicht damit rum, ihnen die Zugehörigkeit zu unserer Gemeinschaft abzusprechen. Und unterstütze auch jene nicht, die genau das tun!“

Und schließlich: Ist es nicht ein Gott, der uns ermuntert, zutraut und auch zumutet, unseren eigenen Weg zu gehen, anstatt nur irgendwelchen Trends und Moden hinterher zu laufen?! Und der uns dabei durch kleine, oft unscheinbare Ereignisse, berührende Begegnungen und weitere, sogenannte „Zufälle“ in unserem Leben praktische „Wegweiser“ und „Hinweisschilder“ für unseren Lebensweg gibt. Wir müssen sie manchmal nur aufmerksam wahrnehmen und lesen.

Denn darum geht es doch letztlich auch heute in unserer Predigt: Wir führen nicht nur andere Menschen oder werden von diesen geführt, sondern wir alle führen zuallererst mal auch uns SELBST! Und nur wer sich selbst gut führen kann, kann auch andere gut führen!

Liebe Schwestern und Brüder,

Ich wünsche uns allen, dass uns diese Selbstführung gelingt und wir uns dabei auch vertrauensvoll in die Führung Gottes hineinbegeben können.

Ich wünsche allen, die von anderen Menschen geführt werden, dass sie manchmal auch etwas Nachsicht mit Ihren Chefs haben, aber dass Sie auch den Mut finden, unpassendes Verhalten und Misstände offen anzusprechen, denn ja: auch und gerade Führungskräfte brauchen diese Rückmeldung manchmal!

Und ich wünsche allen, die Verantwortung für andere Menschen tragen, dass Sie gute Gärtnerinnen und Gärtner sein mögen in einem Garten, der reiche, schmackhafte und vielfältige Frucht bringt.

“Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.”

Amen

Führen und geführt werden. Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm. 2. Fastenpredigt von Ulrike Knienieder-Glimpel. 3.3.2024 in der Johanniskirche Lauf

(Es gilt das gesprochene Wort)

Führen und geführt werden ist ein Thema das mir sehr am Herzen liegt, es beschäftigt mich, so kann ich es sagen, schon mein Leben lang und hat mein Leben geprägt. Durch meinen Werdegang habe ich die betriebswirtschaftliche Seite der Führung sehr gut kennengelernt, die unterschiedlichsten Definitionen von Führung, Führungsaufgaben, Führungskonzepten und Führungsstilen. Zum einen in der Theorie und zum anderen auch in der Praxis. Viele Menschen machen sich über dieses Thema Gedanken.  So entstehen immer wieder neue Modelle und Konzepte, weil sich die Zeit immer wieder ändert.

Jeder von uns hat sein eigenes Bild, seine eigenen Vorstellungen von Führung, seine eigenen Erwartungen und Wünsche an eine Führungskraft. All diese unterschiedlichen Bilder sind von den ganz eigenen persönlichen Erfahrungen geprägt die wir im Laufe unseres Lebens gemacht haben, mit den Eltern, der Schule, der Ausbildung, im Beruf.

Und auch ein Mensch der in der Rolle als Führungskraft tätig ist, hat sein eigenes persönliches Verständnis von Führung, von seiner Rolle. Die Art und Weise wie jemand führt hängt ebenfalls von seinem Selbstbild, seinem Wesen, seinem Menschenbild ab und von der eigenen Lebensgeschichte.

Führen und geführt werden sind dabei eng miteinander verwoben, denn jeder Mensch der führt wird auch gleichzeitig geführt. Im Unternehmen sind das die MitarbeiterInnen, die Kunden, das Umfeld in dem das Unternehmen agiert. Die Zeit in der wir leben, die äußeren Umstände auf die wir keinen Einfluss haben, führen ebenfalls.

Da habe ich mich gefragt wann geschieht Führung? Was ist der Kern, die Grundlage der Führung?

Für mich ist Führung ist mehr als eine Methode, mehr als ein Konzept. Führung ist eine Haltung, denn Führung geschieht mit Menschen und zwischen Menschen.

Das Herz eines jedes Unternehmens sind die Menschen.  Die Kernaufgabe der Führung ist die Gestaltung des Zusammenspiels der Menschen und die Gestaltung der Rahmenbedingungen, so dass jeder Mensch mit seiner jeweiligen Persönlichkeit und Fähigkeit die Chance hat erfolgreich zu sein. Das beschreibt eine Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens.  Zwang und Druck hemmen, schränken ein. Um Ziele umzusetzen, kreativ zu sein, ist Angst das ungeeignetste Führungsinstrument.

Führung braucht den Kontakt zum Menschen, die Begegnung auf Augenhöhe. Gute Führung legt niemanden auf seine Fehler oder Grenzen fest, sondern sieht in jedem Menschen den guten Kern, nimmt den Menschen wahr so wie er ist. Das verlangt gleichzeitig nach der Fähigkeit das Andersartige und Vielfältige ohne zu werten oder bewerten auszuhalten. Es geht Mitmenschlichkeit.

Das wirksamste Mittel der Führung ist das Gespräch, das Gespräch miteinander, nicht das Gespräch übereinander. Ein Gespräch, das zugewandte Zuhören schafft Verständnis. So entdeckt man die Wahrheit und die Perspektive des anderen. In einem Gespräch lässt sich erklären warum die Aufgabe wichtig ist, warum etwas erledigt werden muss.  Das schafft Klarheit und Vertrauen.

Führung geschieht nur wenn der Andere sich führen lässt.

Das was ich hier beschreibe klingt wohl eher nach einer Idealisierung, einer Romantisierung der Führung.  Wie soll das im unternehmerischen Alltag denn gelingen? Menschen fördern, gerecht sein, gleichzeitig Entscheidungen durchzusetzen, Härte zu zeigen und dabei stets sowohl den Menschen als auch das Unternehmen in seiner Gesamtheit im Auge zu behalten.

Geht es im Unternehmen nicht eher um Gewinn, Umsatz, Gewinnung von Marktanteilen, Erschließen neuer Märkte? Um Erfolg?

Wer oder was verleiht mir das Vertrauen mit den Widrigkeiten und Unsicherheiten der momentanen Zeit zurecht zu kommen? Welche Kraft sorgt dafür das ich die Welt die mich umgibt mit Zuversicht betrachte, an die Zukunft glaube, an das Gute glaube?

Liebe und Führung eines Unternehmens, Liebe und Führung in einem Unternehmen das widerspricht sich, hört sich im ersten Moment fremd an. Kann das funktionieren und vor allem wie funktioniert das?

Die Liebe ist eine Kraft, eine Kraft die aus dem Herzen kommt. Sie findet im Arbeitsalltag sehr wohl ihren Raum. Sie gibt Leitlinien vor, gibt Orientierung bei der Entscheidungsfindung. Sie lässt einen fühlen was richtig und falsch ist. Denn Entscheidungen oder Handlungen die gegen die Liebe laufen lassen sich nicht treffen bzw. ausführen. Sie hilft dabei Ja zu sagen oder Nein und Grenzen zu setzen.

Als Supervisorin führe ich bei uns im Unternehmen Gespräche mit Mitarbeiter/innen die nach längerer Krankheitszeit wieder im Unternehmen arbeiten. Es geht unter anderen auch um die Fragen nach der Gestaltung des Arbeitsplatzes.

In einem dieser Gespräche war ein Mann bei mir der immer wieder längere Krankheitszeiten hatte. Er hatte seinen Arbeitsplatz im Büro, seine Aufgabe war die Disposition und Koordination von Aufträgen. Im Rahmen dieser Aufgaben hatte er auch mit anderen Abteilungen bzw. mit anderen Kollegen zu tun. Mit den Kollegen in den anderen Abteilungen gab es immer wieder Ärger. Im Laufe des Gesprächs kamen wir auch auf private Dinge zu sprechen. Er erzählte mir wie gerne er an seinem Auto schraubt und in seinem kleinen Garten arbeitet. Als er darüber sprach habe ich seine Augen strahlen sehen. Und dann sagte er, er würde so gerne mit seinen Händen arbeiten, nicht nur im Büro sitzen wollen. Es war klar, er braucht eine andere Aufgabe. Es hat eine Weile gedauert, bis ein entsprechender Arbeitsplatz frei war doch dann hat es geklappt. Und wenn ich ihn bei uns im Hof treffe, dann strahlen seine Augen.

Würde ich diesen Mitarbeiter rein unter Leistungsgesichtspunkten beurteilen, wäre das ein Kollege mit hohen Krankheitstagen, der Ärger mit anderen Kollegen hat. Da wären die nahe liegenden Gedanken, er erfüllt die Erwartungen nicht, bringt die Leistung nicht, ganz einfach er passt nicht.

Ein anderer Weg einen Menschen zu „beurteilen“ ist das Strahlen in den Augen, ihn zu sehen. Natürlich gibt es auch Menschen die sich dazu entschlossen haben nur unzufrieden zu sein. Deren Augen leuchten ganz selten oder nie. In diesen Fällen führt kein Gespräch zum Erfolg und auch das gilt es anzunehmen.

Das ist nur ein kleines Beispiel dafür den Alltag im Beruf mit anderen Augen zu betrachten.

Die Liebe eröffnet eine andere Sichtweise auf den Menschen.

Von welcher Liebe rede ich?

Es geht hier nicht um die romantische Liebe zwischen Mann und Frau. Die Liebe von der ich rede beginnt in den eigenen Gedanken und Gefühlen. Es ist ein Gefühl der Verbundenheit, der Dankbarkeit, der Freude, des sich lebendig Fühlens. Es ist eine Kraft die die Gewissheit gibt aufgefangen und getragen zu werden, eine Kraft die Angst überwindet und Zuversicht schenkt.

Führung im Unternehmen hat immer mit der eigenen Lebensführung zu tun, mit der Verantwortung die ich für mein Leben übernommen hat. So wie ich mich selbst führe, führe ich auch andere Menschen. Führung ist eine Haltung.

Selbstführung bedeutet einen guten Umgang mit meinen Gedanken und Gefühlen, die Fähigkeit meine eigenen Gedanken und Verhaltensweisen von außen, von einer anderen Position aus zu betrachten. Dinge zu erkennen, wahrzunehmen, sie annehmen und wenn ich sie verändern kann dann zu verändern. Es geht um die Freundschaft mit mir selbst.

Die Fragen: Was schenkt mir Freude? Was begeistert mich? Was sind meine Talente um das zu verwirklichen? Wie lebe ich meine Wünsche, Träume, Ziele im Alltag? Die Suche nach den Antworten auf diese Fragen zeigen mir den Weg, geben die Richtung vor.

Diesen Weg zu gehen gelingt mir mal gut, mal weniger gut gelingt und lässt mich so manches Mal auch stolpern. Immer gilt dieser Weg ist mein Ziel.

Selbstführung bedeutet Selbstvertrauen, das Vertrauen in die eigene Intuition, das Vertrauen in die Stimme des Herzens. Dafür braucht es Mut.

Wer in der Liebe ist, der ist in Gott und Gott in ihm.

Es ist ein Spruch der mein Herz berührt hat, der mir Orientierung für mein Handeln gibt, der mein Führungsverständnis und mein Bild von den Menschen prägt. Dieses Gefühl, das Vertrauen und die Gewissheit von Gott geführt zu werden, bereichert mein Leben, schenkt mir viel Freude, Herzensruhe und schließlich auch Freiheit.

Ulrike Glimpel-Knienieder

Führen und Geführt werden: die eherne Schlange 4. Mos 21: Dekanin Berthild Sachs, Schwabach

Sonntag Reminiscere (25.02.2024) Johanniskirche Lauf. Fastenpredigt zu 4. Mose 21, 4-9

„Führen und Geführtwerden“ Johanniskirche Lauf a.d. Pegnitz, 9:15 Uhr Dekanin Berthild Sachs, Schwabach

Liebe Gemeinde unterwegs in der Fastenzeit,

be midbar – in der Wüste, so beginnt das 4. Buch Mose. Und, ja, es versetzt uns gedanklich in die Wüste. Aber nicht so, wie ich es auf Reisen erleben durfte: als komfortables Kameltrekking in der Sahara oder als Exkursion auf dem Sinai, mit Sternenhimmel nachts und überwältigenden Farben am Tage.

Wüsten sind lebensfeindliche Orte. be midbar – das hieß und heißt: mitten in der Todeszone. Verdurstende Flüchtlinge in der mexikanischen oder der libyschen Wüste zeugen davon bis heute. Anfang des letzten Jahrhunderts wurde das Volk der Armenier aus der Türkei in die syrische Wüste vertrieben, ein Todesmarsch, den hunderttausende Armenier nicht überlebt haben.

Im Alten Testament ist es das Volk Israel. 40 Jahre Wüstenwanderung liegen zwischen der Flucht aus Ägypten und dem verheißenen Land. Machen wir uns klar, was das heißt: Eine ganze Generation kennt nichts anderes als Wüste, Schwitzen und Frieren, Durst und Todesangst, Unterwegssein, Rasten, Aufbrechen, Weiterziehen. Am Anfang trägt sie noch die Euphorie der Befreiung, der wunderbaren Rettung.

Aber dann – und davon erzählt das 4. Buch Mose – häufen sich Krisen und Katastrophen: Miriam, Moses Schwester, erkrankt an Aussatz und stirbt. Auch Aaron, Moses Bruder und rechte Hand, stirbt. Die Stimmung im Volk ist am Tiefpunkt. Feuer bedrohen immer wieder das Lager und fordern Opfer. Bedrohliche Gerüchte machen die Runde. Streit entflammt, ob das ganze Unternehmen „Gelobtes Land“ überhaupt Sinn macht. Umwege werden notwendig, es geht nicht vorwärts, viele fürchten: „So kommen wir doch nie an!“ Kurz: Das Volk Israel ist mit seiner Kraft und Geduld am Ende. Sie können nicht mehr. Sie haben es satt. Sie lassen sich so eine Führung nicht länger bieten. Ich lese den Beginn unseres Predigttextes aus 4. Mose 21, 4-5

4 Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege 5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise.

Liebe Gemeinde, be midbar – in der Wüste: ich vermute, im übertragenen Sinn kennt jeder von uns so was wie Wüstenetappen im Leben: Wenn hinter jedem Schritt ein neues Problem, eine neue Krise und Katastrophe lauert. Kein Weg raus führt. Kein Licht am Horizont aufscheint. Wenn Lebenshunger, Lebensdurst viel zu lange ungestillt bleiben. Ihr Konfis kennt das womöglich auch: Überdruss, Ekel vor dem täglichen Einerlei: Schule, Hausaufgaben, Lernen, Druck, Ärger, keiner, der einen versteht, die bohrende Frage, wozu das alles überhaupt gut sein soll.

Auch unsere Gesellschaft erlebe ich manchmal wie unterwegs durch eine endlose Wüste, von Krise zu Krise: Da war erst Corona mit all den Zumutungen, all dem Verzicht, den diese Jahre uns abverlangt haben. Dann der Ukrainekrieg mit seinen fatalen Folgen bis zu uns: Energiekrise, Inflation, Haushaltskrise, Wirtschaftskrise. Kein Wunder, dass Krisenmodus zum Wort des Jahres 2023 wurde! Nach Jahren immer steigender Sorglosigkeit und Sattheit nun: Willkommen be midbar – in einer gefühlten Wüste!

Und eine letzte Parallele drängt sich mir auf: Auch in unserer Kirche beschleichen manche solche Wüstengefühle. Wir hatten uns ja ans üppige Wachsen der kirchlichen Saat und an sprudelnde Quellen an Geld, an Ehren- und Hauptamtlichen gewöhnt. Und nun erleben wir, wie Pfarrstellen und Arbeitsfelder immer länger brach liegen, wie vielen Engagierten die Luft ausgeht, Gemeinden ausdünnen, sonntags die Plätze leer bleiben, wie auch die geistliche Nahrung manchmal karg bleibt und wir immer mehr das Gefühl haben, nur noch Mangel zu verwalten.

be midbar – in der Wüste, wenn das Leben auf dem Spiel steht, verändern sich Menschen, verändert sich das zwischenmenschliche Klima. Das Gefühl, selber zu kurz zu kommen, wird übermächtig. Die Vergangenheit, das Früher, wo doch alles besser war, wird verklärt. Die Zukunft wird in schwärzesten Farben heraufbeschworen. Schuldige werden gesucht. Fake News und Verschwö-rungstheorien haben Konjunktur. Die da oben wollen unseren Untergang. Gott schickt uns ins Verderben.

Das Gift des Misstrauens sickert in die Herzen, es entzweit und entsolidarisiert. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Es gibt nur noch weiß oder schwarz. Trillerpfeifen werden ausgepackt, andere Meinungen niedergebrüllt. Traktoren heulen auf, Menschen werden an den Galgen gewünscht, Zukunft wird für tot erklärt. Und dann – schleichend und tödlich wie Gift – wird genau das, wovor man Angst hat, was das Denken so beherrscht, dadurch Realität! Ich lese weiter 4. Mose 21, 6+7.

6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. 7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk.

Ich mache einen kleinen Schwenk zu Mose. Wie es ihm wohl erging – so als Zielscheibe aller Kritik? Er hatte doch bisher so oft mit Gottes Hilfe das Ruder rumreißen können. Er hatte Auswege gefunden, bis zur Erschöpfung nachts gebetet, gefleht, er hatte versucht, Ordnung zu halten und Orientierung zu geben, in und trotz all der Krisen. Und nun sieht er, wie das alles umsonst war und sich in Panik auflöst – Schlangenplage, Todesangst, immer mehr Opfer. So tu doch was, Mose! Du und dein Gott, ihr habt uns das doch eingebrockt! So haben wir es nicht gewollt …

Was hilft da? Reden, Beschwichtigen, Trostpflaster verteilen? Eine Regierungserklärung mit 5-Punkte-Plan zur Eindämmung der Plage? Ausgangssperre? Eine abendliche Ansprache in militärischem Olivgrün, markige Sprüche: Wir geben nicht auf, wir werden siegen? Den Retter und Helden spielen: Keine Sorge, wir haben die Lage im Griff?

Ich glaube, Mose wusste genau: Gegen Gott und gegen diese Wut der Menschen hat er keine Chance. Da hat er nichts in den Händen, kein Gegengift, keine Ärzte, keine Schlangentöter, die die tödliche Gefahr eindämmen könnten. Übermenschliches wird von Mose verlangt.

Vielleicht ist es die wichtigste Fähigkeit für Führungs-kräfte, dass sie sich eingestehen, wo sie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten kommen. Mose weiß darum – übrigens nicht zum ersten Mal. Er selbst hatte an seiner Führungsstärke immer wieder gezweifelt. Und dann auf Gott gesetzt. Auf Gottes Lösung gehofft. Auf Gott gehört und sich etwas sagen lassen. So auch diesmal: 4. Mose 21, 8-9

8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

Ob Mose kapiert hat, was er da machen sollte und wozu das gut sein sollte? Eine eiserne Schlange auf einem Stab – das befremdet zu Recht, das klingt nach Magie und Harry Potter, erinnert allenfalls noch an die Schlange, die sich bis heute im Apothekenlogo um den Äskulapstab windet. Sieht so also die Apotheke Gottes gegen Schlangenbisse aus?

Versuchen wir, das Ganze einmal symbolisch zu entschlüsseln: Das, was Angst macht, muss vor Augen geführt und angeschaut werden. Wer sich z.B., wie ich, vor Spinnen fürchtet, muss lernen, sie anzuschauen, ganz aus der Nähe, und dem Anblick standzuhalten, statt sich kreischend die Bettdecke über den Kopf zu ziehen.

Wer Angst hat, dass unser Land den Bach runter geht, sollte sich konstruktiv einmischen, mit Zahlen und Fakten, mit Politik, Wirtschaft und Soziologie beschäftigen, sich bürgerschaftlich engagieren und Missstände beseitigen helfen.

Und genauso in unserer Kirche. So sehr es uns schmerzt, wie die Kirchen an Zuspruch und Vertrauen verlieren, so wenig hilft es, das zu leugnen, schönzureden oder sich vor der garstigen, ungläubigen Welt zurückzuziehen. Nein: Kandidier für mitmischen! Kandidier für neue Wege! Stimm für mittendrin! So heißen die aktuellen Slogans für die Kirchenvorstands-Wahlen im Herbst. Will sagen: Eine kleiner werdende Kirche ist nicht der Anfang vom Ende. Auch, gerade sie kann ein heilsamer Hingucker sein, ein ehrlicher Wegweiser, wie Jesus Christus sich das gedacht hat mit dem Sauerteig oder dem Salz der Erde in einer nach Güte und Frieden hungernden Welt.

Und dann steckt in der eisernen Schlange über den Köpfen der Leute eben noch eine zweite, zwingende Symbolik. Wer diese Schlange ansieht, hebt den Kopf. Löst sich aus der Problemtrance, von den Schlangen, die immer noch auf Schritt und Tritt lauern, beißen und schmerzen. Schaut gen Himmel. Heilung beginnt damit, dass wir uns aus der Enge, der Angst, der Ohnmacht, die klein macht und runterzieht, lösen. Und wir dann beginnen, Lebensperspektiven zu entdecken, wo gerade eben noch nur Tod vermutet wurde. Licht, wo eben noch alles dunkel und schwarzgemalt war.

Im Alten Testament ermöglicht Gott den Israeliten diese Blickumkehr zum Heil, indem er Mose ein Schlangenbildnis an einen Pfahl schlagen lässt. Im Neuen Testament, wir haben es im Evangelium (Joh 3, 14-21) gehört, wird dieses alte Symbol dann nochmal geistlich umgedeutet. Aus dem Pfahl wird das Kreuz, an das der Gekreuzigte geschlagen ist. Das Kreuz ist Folter- und Todesinstrument, es zwingt uns hinzuschauen auf sinnloses Sterben, brutales Töten und alles Leid, das Menschen Menschen antun.

Aber im Aufschauen erkennen wir, dass Gott selbst dort leidet, in Jesus Leiden teilt, in Christus sich hingibt in Liebe und Treue. So wird aus dem Kreuz ein Trost- und Kraft- und Heilszeichen. Seht, welch ein Mensch! Seht, da ist Gott – mitten unter uns, mitten in Anfechtung, Angst und Tod. be midbar – in der Wüste, in der Todeszone, da ist Gott in Jesus Christus gegenwärtig, damit wir das Leben haben.

Amen.

Pfarrer Hofmann grüßt aus Bayreuth

Liebe Laufer Gemeinde! Für alle Eure Besuche, Mails und Segenswünsche zu meiner Amtseinführung in der Bayreuther Nikodemuskirche sage ich Euch herzlich Dank! Bleiben wir in Glauben und Gebet verbunden, Euer (ehemaliger) Pfarrer Thomas Hofmann

Wer sich für den Einführungsgottesdienst interessiert, findet ihn durch Klick HIER.

Folgendes steht demnächst im Bayreuther Gemeindebrief:

Predigt im Fahrradgottesdienst in Lauf an der Pegnitz, in der Kirche in Güthersbühl von Pfr. i.R. Kuno Hauck, 11. Juli 2023

26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?

27 Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?

28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.

29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.

Matthäus 6, 26-29

Liebe Fahrradfreundinnen und Freunde, liebe Gemeinde,

„Seht die Vögel unter dem Himmel“, sagt Jesus in der Bergpredigt und erinnert die Menschen daran, wie wichtig es ist, sich als Teil der guten Schöpfung Gottes zu sehen.

„Seht die Vögel unter dem Himmel“.

Seit Jahren beobachte ich gerne Vögel und freue mich besonders, wenn ich einen Vogel entdecke, den ich schon länger nicht mehr oder noch nie gesehen habe.

Erst vor kurzem, als wir mit dem Fahrrad um einen See in Frankreich fuhren, entdeckte ich im Schilf einen seltenen Purpurreiher. Seit mehreren Jahren hatte ich keinen mehr gesehen. Sofort kehrten wieder um, um ihn genauer zu beobachten.

Wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, nimmt man die Welt um einen herum unmittelbarer wahr. Meistens kann man auch sofort anhalten. Die Natur rauscht nicht einfach vorüber, sondern ist sichtbarer, riechbarer, spürbarer. Steigungen, auf die man mit dem Auto gar nicht achtet, werden plötzlich in den Beinen spürbar. Das haben alle, die heute mit dem Fahrrad von Lauf gekommen sind, gleich bei der Anfahrt nach Günthersbühl gemerkt.

Mit dem Fahrrad spüren auch E-Biker*innen schnell ihre Grenzen, wenn der Akku leer und man noch nicht am Ziel ist. Aber wie schön ist es dann, wenn eine steile Abfahrt kommt und man das Rad laufen lassen kann.

Zum Beispiel, wenn man gleich hier um die Ecke, von Tauchersreuth nach Beerbach runterbraust und ohne bremsen, schnell die 50 km/h und mehr erreicht sind. Und ist es nicht wunderbar, an blühenden Linden vorbeizufahren und sich von ihrem Duft verzaubern zu lassen?

Ja, auch die Wahrnehmung der Temperaturen ist ganz anders. Die Kühle am Morgen, die stechende Sonne, an Tagen wie heute. Dann über 33 Grad im Schatten und es gibt außer dem Fahrtwind keine Klimaanlage die man einschalten kann.

Wer viel in der Natur unterwegs ist, nimmt die Welt anders wahr.

„Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“

Wie lange wird das noch so sein, frage ich mich?

Wie lange noch können wir die Vögel in ihrem geschäftigen Treiben, unter dem Himmel beobachten? Das Vogelsterben hat dramatische Ausmaße angenommen. Eine Ursache neben vielen ist, dass Vögel keinen geeigneten Lebensraum und nicht mehr genügend Nahrung finden. Besonders betroffen sind die Vögel der Agrarlandschaften. „Sie säen nicht, sie ernten nicht“ sie leben von dem, was wir Menschen ihnen lassen und deshalb sterben sie jetzt aus.

Noch vor ein paar Jahren musste man bei einer Autofahrt im Sommer, regelmäßig die Windschutzscheibe mit einem Insektenschwamm reinigen. Jetzt kann man hunderte von Kilometern fahren ohne, dass dies notwendig ist.

„Seht die Vögel unter dem Himmel an …Seid ihr … nicht viel kostbarer als sie?“

Unsere Erde, Gottes Schöpfung, der wunderbare blaue Planet, der vielleicht einzige bewohnbare Planet im Weltall, ist ein einzigartiges Ökosystem, das Millionen von Jahren gebraucht hat, so zu werden, dass sie zur Heimat für uns Menschen werden konnte.

Seit 4,5 Milliarden Jahren kreist die Erde um die Sonne und Gott hat sich sehr lange Zeit gelassen mit seiner Entwicklung des homo sapiens, des späteren Menschen. Wenn man die Geschichte der Erde mit einem 24 Stundentag vergleichen würde, müssten wir eingestehen, dass es uns Menschen erst seit 4 Sekunden gibt. Seit es vernunftbegabte Menschen gibt, bestaunen, bewundern und besingen sie diese wunderbare Schöpfung, unseren einzigartigen Lebensraum.

So wie wir es auch im ersten Lied gemacht haben: Himmel, Erde, Luft und Meer, zeugen von des Schöpfers Ehr; meine Seele, singe du, bring auch jetzt dein Lob herzu.

„Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen“

Über viele Jahrtausende mussten sich die Menschen, abgesehen von einzelnen Naturkatastrophen, nie um ihre Existenz grundsätzlich sorgen machen.

Sie erlebten, dass das ökologische Gleichgewicht der Erde immer wieder ins Lot kam.

Sie erlebten, dass man sich auf die Worte am Ende der Sintflutgeschichte verlassen konnte: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

Glaubt man den Meteorolog*innen, Klimaforscher*innen und Fachleuten haben wir Gott einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Harald Lesch, aus Fernsehen und Internet bekannter Astrophysiker und Philosoph erzählt in seinem Buch „Die Menschheit schafft sich ab“ folgenden bösen Witz.

„Treffen sich zwei Planeten.

Der Eine: „Du siehst aber schlecht aus.“

Der Andere: „Ich habe Menschen!“

Der Eine: „Oh, das geht vorbei.“

Wahrscheinlich sind wir tatsächlich die letzte Generation die die Erde noch vor dem berühmten Kipppunkt erlebt, den Moment, wo es kein zurück mehr gibt. Wissenschaftler verwenden dazu gerne das Bild des Tisches und des Tellers. Man kann einen Tisch mit einem Teller darauf kippen und zusehen wie der Teller sich langsam auf den Rand zubewegt. Irgendwann fällt der Teller vom Rand und zerbricht. Selbst wenn wir dann den Tisch wieder gerade stellen, ist der Teller kaputt.

Eckhart von Hirschhausen, hat beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg einen anderen eindrücklichen Vergleich verwendet. Er sagte, wenn wir ein Ei erhitzen, haben wir bald ein gekochtes Ei. Wir können es danach abkühlen wie wir wollen, es wird kein flüssiges Ei mehr werden.

Der Teller Erde bewegt sich mit einer erschreckenden Geschwindigkeit auf diesen Kipppunkt zu.

Wir können unsere Erde, Gottes gute Schöpfung, aber nicht einfach durch eine andere ersetzen. Gott wird uns auch keine neue geben.

Und jetzt? Was machen wir mit diesem Wissen und diesen Prognosen?

„Ich werde dieses Jahr noch einmal die Malediven besuchen“ sagte jemand zu mir, als ich nach seinen Urlaubsplänen fragte. „Man weiß ja nie, wann sie im Meer versinken bei dieser Klimakatastrophe.“ Ist das nicht zynisch im Hinblick auf die Menschen, die dort bald ihre Heimat verlieren?

Oder denken wir einfach: „So schlimm wir es sicher nicht kommen?“

Unsere Erde ist zu kostbar und zu einmalig, um nichts zu tun. Noch nicht lange her bekam ich ein Buch geschenkt mit dem Titel: „Warum Radfahren glücklich macht und dabei hilf, die Welt zu retten“.

Ein gutes Beispiel dafür, dass sich bei allen katastrophalen Klimanachrichten viele sich nicht entmutigen lassen.

Gestern gab es z.B. eine Sternfahrt von Lauf und Altdorf nach Hersbruck unter dem Motto: „Radeln für den Klimaschutz“. Rund 200 Radler*innen waren dabei.

Im Mai fuhren 170 Radfahrer*innen vom Kind bis zur Oma beim ersten KIDICAL MASS durch Lauf, um für sicherere Radwege ein Zeichen zu setzen. Am 21.7. wird es in Röthenbach eine Raddemo geben, weil der Stadtrat beschlossen hat aus der „Arbeitsgemeinschaft der fahrradfreundlichen Kommunen“ auszutreten.

Liebe Fahrradfreundinnen und Freunde, liebe Gemeinde,

natürlich rettet Radfahren allein nicht die Welt! Es zeigt aber, dass wir alle etwas tun können.

„Seid ihr denn nicht viel kostbarer …“. In der Bibel wird der Mensch als die Krone der Schöpfung beschrieben.

Das Klima schützen, heißt daher auch den Menschen zu schützen, Gottes Ebenbild. Jedes Zehntel Grad an Erderwärmung, was wir verhindern können, ist ein riesiger Erfolg. Radfahren macht glücklich das erleben viele, wenn sie mit dem Rad unterwegs sind, aber wichtig ist es, das Fahrrad auch im Alltag zu verwenden, nicht nur in der Freizeit.

Daher läuft parallel zum Stadtradeln, ja auch die Laufer Radl-Shopper-Aktion, die dazu einlädt, mit dem Fahrrad einzukaufen.

„Seht die Vögel unter dem Himmel, … schaut die Lilien auf dem Feld“.

Das heißt: Geht mit offenen Augen durch die Welt, und hinterfragt immer wieder euren Lebensstil.

Haltet Gottes Geist, die Liebe zur Schöpfung immer in euren Herzen.

Amen

Pfr. i.R. Kuno Hauck