Die große Verwandlung – noli me tangere

Predigt von Pfarrer Jan-Peter Hanstein am Ostersonntag 2025 zu Joh 20

– es gilt das gesprochene Wort – hier die Audio-Datei

Tizian, Noli me tangere

11Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein 12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte.
13Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
14Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. 16Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!
17Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.

Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.
18Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe.

Johannes 20

Liebe Gemeinde,

Der Frühlingsmorgen liegt über unserer Stadt wie ein sanfter Schleier. Die Osterglocken wiegen sich im leichten Wind, die Kirschblüten und die Kirchenglocken haben uns aus unseren Häusern gerufen. Manche waren auf den Friedhöfen, unseren kleinen traurigen Paradiesen.

Ganz anders muss es gewesen sein, als Maria Magdalena durch den Garten Gethsemane eilte – der Tau noch auf den Gräsern, die Vögel erwachend, und ihr Herz erschreckt. Der Tag dämmerte erst. Der grausame Tod, sie war unter dem Kreuz gewesen, alles noch blutfrisch, sie war noch nicht zum Trauern gekommen. Sie konnte nicht schlafen und hat für sich beschlossen, dass sie dann auch gleich zum Felsengrab gehen könnte. Sie ist die Erste ganz früh und dabei hat sie die Amphore mit dem teuren Öl, um Jesus zu salben. Kann der  der Messias, der Gesalbte sterben? Ist er es wirklich gewesen? Sie weint und sieht durch die Tränen fast nichts.

1. Die Suche, die ins Leere führt

Maria heult laut auf, nachdem das Grab leer ist. Wo haben sie ihn hingetan? Nicht einmal mehr den Leichnam lassen sie ihr!

Dann geschieht etwas Bemerkenswertes: Sie sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. So schreibt es Johannes und darin liegt ein großer Schatz, für uns alle. Die griechischen Wörter, aber auch im lateinischen, für „Wissen” und „Sehen” sind miteinander verwandt. Johannes leise Kritik am Sehen und Wissen. Maria sieht aber weiß nichts. Sie hält den Mann für einen Gärtner!

Maria erkannte Jesus erst, als sie ihren Namen HÖRT. Der Glaube kommt nicht aus dem Sehen, sondern dem Hören (Röm 10,17) … So wie eine Konfirmandin es ausdrückte: “Ich verstand nicht, was Glauben bedeutet, bis ich hörte: ‘Gott sieht dich.'” Wie Jesus sie sieht und sie anspricht – das versteht Maria, dass Jesus vor ihr steht.

2. “Rühre mich nicht an” – Die große Metamorphose

Als Maria Jesus erkennt, will sie ihn festhalten, umarmen, sich vergewissern. Jesus aber sagt zu ihr: “Rühre mich nicht an!” Es ist mehr als nur eine Geste der Zurückhaltung – es ist ein Hinweis auf die tiefgreifende Verwandlung, die gerade stattfindet. Wie soll das vor sich gehen?

Der Dichter Johann Peter Hebel hat sich vorgestellt, wie die Menschen alle das Material zurückhaben wollen, aus dem einmal ihr Körper bestanden hat: Wir müssten uns verzehnfachen und mehr. Und denkt an das ganze Wasser! Geschweige denn das ganze Essen … Heute wissen wir, dass sich die Dünndarmzellen alle 2-4 Tage erneuern, Lungenbläschen alle 8 Tage, nach sieben Jahren gibt es so gut wie keine Zelle mehr in und an unserem Körper, die sich nicht erneuert hat. nur die Herzmuskelzellen und Hirnzellen brauchen 40 Jahre. Aber ich bin schon 58 Jahre alt … Seht: die Materie, aus der wir bestehen, ist auswechselbar, ohne dass unsere Identität dabei verloren geht. Das geistige Prinzip, der Gedanke, das Gedächtnis ist mächtiger als all das, was wir jemals zu uns nehmen können.

Genau das scheint bei der Auferstehung Jesu zu geschehen. Er ist derselbe und doch ganz anders. Sein Leib durchläuft eine Metamorphose im Schnelldurchgang  , er befindet sich in einem Zustand des Übergangs – “Ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater” – er ist nicht mehr der irdische Jesus, den Maria kannte, aber noch nicht der vollständig verherrlichte Christus.

“Rühre mich nicht an!” Noli me tangere…

Der Philosoph Jean-Luc Nancy sieht in dieser Szene etwas noch Tiefgründigeres: Jesus sagt eigentlich “Halte mich nicht auf meinem Weg zur Auferstehung auf.” Es geht nicht um ein Berührungsverbot, sondern um eine neue Art der Beziehung. Nancy macht uns klar: Wahre Begegnung bedeutet nicht, den anderen zu besitzen oder festzuhalten. Wir müssen lernen, einander zu berühren, ohne Besitz zu ergreifen. Genau das ist es, was Jesus von Maria verlangt – eine Liebe, die frei ist von dem Wunsch, den anderen für sich zu behalten. Diese Art von Liebe ist der Grundstein für jede echte menschliche Berührung.

Das “Halte mich nicht fest” bedeutet also: Halte nicht an deinem alten Bild von mir fest. Ich muss mich vollenden in der Auffahrt zum Vater. Die Auferstehung ist kein Zurück zum Status quo, sondern der Beginn einer kosmischen Transformation, die bis heute andauert.

3. “Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater” – Ein vertrautes Gottesbild

Was Jesus hier sagt, erscheint uns selbstverständlich, war es aber nicht. Er spricht von Gott als seinem Vater. Jesus hat nicht eine völlig neue Religion gestiftet, sondern er stand tief in der Tradition Israels.

Wenn Jesus Gott als Vater anspricht, dann knüpft er an, was im jüdischen Glauben bereits angelegt war. Kritische Theologen behaupten oft, diese Anrede sei ein Zeichen dafür, dass diese Worte nicht authentisch sein könnten – zu einzigartig, zu revolutionär. Doch dieses Kriterium der Unableitbarkeit verpufft angesichts der Tradition.

Die ersten Christen haben nur zögernd ausgesprochen, dass Jesus Gott als seinen besonderen Vater beanspruchte. Aber die Anrede “euer Vater”, die Jesus in seinen Unterweisungen verwendet, gehört zu den ältesten Überlieferungsschichten. Wie unser ehemalige Stadtarchivar Glückert gerne sagt: “Das Neue ist oft nur das längst Vergessene, das wiederentdeckt wurde.”

4. “Mein Vater und euer Vater” – Die Einladung zur Gemeinschaft

Am Ende gibt Jesus Maria einen Auftrag: “Geh zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.”

Jesus bindet Gott nicht exklusiv an sich. Er öffnet die Tür für alle.

Dies erinnert mich an eine Geschichte – ein Gleichnis – ist sie aus dem Talmud?

Ein Prinz besaß einen wunderschönen Garten mit seltenen Blumen und Früchten, den er sorgsam pflegte. Eines Tages entschloss er sich, die Tore für alle zu öffnen und verkündete: “Was mein ist, soll auch euer sein. Wie mein Vater, der König, mir diesen Garten geschenkt hat, so schenke ich euch den Zugang dazu.” Die Menschen kamen zögernd, denn sie waren es nicht gewohnt, königliche Gärten zu betreten. Doch der Prinz begrüßte jeden Einzelnen mit den Worten: “Mein Vater ist auch euer Vater, mein König auch euer König.”

Das Vaterunser bleibt ein Wir-Gebet. Jeden Sonntag beten wir es gemeinsam: “Unser Vater im Himmel.” Nicht “mein” Vater, sondern “unser” Vater. In der Johannesformel findet dies seinen vollendeten Ausdruck: “Mein Vater und euer Vater”, “mein Gott und euer Gott”.

Ein marokkanischer Mann, der Muslim war, tolerierte den Wunsch der deutschen Mutter, auch christlich zu heiraten. Damals musste ich diese kirchliche Trauung beim Dekan mit einem seelsorgerlichen Gutachten genehmigen lassen. Der damalige etwas autoritäre Dekan zu Regensburg, sagte zu mir jungen Pfarrer z.A.: “Aber sorgen Sie dafür, dass in jedem Gebet klar wird, dass Sie sich an Gott den Vater Jesus Christi wenden und nicht an Allah!” Ich war schon immer etwas frech und sagte: “Herr Dekan, ich wusste gar nicht, dass Sie Polytheist sind!” Da wurde er etwas ungehalten und ich musste ihn beruhigen. Ich erzählte ihm von dem Traugespräch – Raten Sie mal Herr Dekan, was der muslimische Ehemann jeden Abend mit seinem Sohn betet!” – “Ja was denn?” Ich: “Er sagte an diesem Gebet stimme jedes Wort. Es sei so schön. Er betet jeden Abend Das Vater Unser mit seinem Sohn.” – Da ließ es der gestrenge Herr Dekan geschehen…

Versteht ihr jetzt – was es heißt, den Garten zu öffnen?

5. Der Weg zum Thron Gottes

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb aus der Gefängniszelle: “Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.” Im Gebet sprechen wir Gott als Vater an, im Handeln behandeln wir andere als Geschwister.

Liebe Gemeinde, wenn wir heute vom Ostergottesdienst zurück in unsere Häuser gehen, wenn wir am gedeckten Tisch sitzen und Ostereier suchen, wenn wir das “Christ ist erstanden” noch im Ohr haben – dann lasst uns daran denken: Der Auferstandene hat uns zu seinen Geschwistern gemacht. Sein Vater ist unser Vater. Sein Gott ist unser Gott. Er ist beim Vater. Die Botschaft ist mehr als nur die Auferstehung, mehr als Jesus gesehen zu haben – Jesus erscheint, um seine Jünger auf den nächsten Schritt vorzubereiten. Er wird zu seinem Vater in den Himmel hinaufgehen! Im Glaubensbekenntnis heißt es nach der Auferstehung:

Aufgefahren in den Himmel – Er sitzt zur Rechten Gottes des Vaters, des Allmächtigen, von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.

Aber das ist Maria und uns heute an Ostern zu viel. Wie Maria damals vom Grab zurücklief zu den Jüngern, so lasst uns diese Botschaft hinaustragen in unser Städtchen, zu unseren Nachbarn, zu allen, die noch im Dunkeln sind. Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Und wir werden auch auferstehen!

Er wird zu seinem Vater auffahren! Und wir auch!

AMEN.

Der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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