Die Macht des Gekreuzigten – Predigt von Pfarrer Jan-Peter Hanstein am 11.7.2021 im Livestream-Gottesdienst St. Jakob, Lauf
Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. 17 Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. 18 Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. 19 Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes 20 und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Matth. 28
Predigt auf Youtube [Es gilt das gesprochene Wort…]
Liebe Gemeinde,
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Was ist das für ein Satz. Gehen wir mal weg von dem für die Konfirmation vielleicht auswendiggelernten Text. Fühlen ganz frisch. Versetzen wir uns in die Jünger, die die letzten Worte Jesu hören. Sein Vermächtnis. Die Worte, die alles zusammenfassen, sind nicht ohne den zu denken der da spricht: Gerade noch war Jesus gefoltert und geschunden gestorben. Totgemacht, toter als der Tod. Und jetzt steht er wieder auf diesem Berg bei dem Evangelisten Matthäus. Diesem namenlosen Berg in seiner Heimat, auf dem er versucht wurde, auf dem er die berühmteste Rede der Weltgeschichte hielt – die „Bergpredigt“, dem Berg der Verklärung, auf dem er schon fast in den Himmel aufgenommen wurde. Und sagt gezeichnet aber strahlend:
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Mit wichtig – in unserem Text heißt es so schön menschlich: die Jünger fielen vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Selbst in so einem Moment glauben nicht alle! Denn zweifeln können wir alle: Macht, Gewalt – die gehörtdoch eigentlich einem Emperor, dem Kaiser. Dem Cäsar, der in einem Feldzug wie gegen die Gallier, ein Million getötet hat und eine andere Million in die Sklaverei geschleift hat. das war keine Witzfigur wie in ASTERIX … Oder wenigstens einem System wie dem Raubtierkapitalismus, der die Superreichen feiert. Die Bezos, Gates, Zuckerbergs dieser Welt, die andere herausdrängen, sich die Rechte sichern, sie multiziplieren und sich Staaten kaufen können, wenn sie wollen.
Die Macht, denken wir – die gehört doch einem Pilatus, demStatthalter, der die pax romana, den Frieden Roms aufrechterhält, indem er einen Unschuldigen wie Jesus kreuzigen lässt in dem sicheren Wissen: dieser wird es nicht einmal in eine Fußnote in der Weltgeschichte schaffen.
Aber auch als Historiker und Philosoph, als Agnostiker und Naturwissenschaftler muss man anerkennen. Dieser Jesus hat es geschafft:
Heute sind zwischen 2-3 Milliarden der Weltbevölkerung christlich. Manches Mal habe ich den Eindruck, nicht wegen der europäischen Missionare sondern trotz ihrer … In Afrika sind selbstbewusste Kirchen, die die Herablassung Europas nicht verstehen. Aus Südkorea werden mehr Missionare entsandt als aus jedem anderen Land der Welt. Im pseudokommunistischen China, das seine totalitäre Seite unter Xi Jinping immer mehr zeigt, wurden in den letzten 20 Jahren ohne wesentliche ausländische Unterstützung von 20 Millionen auf 100-130 Millionen Christen heute. Das Kreuz Jesu ist zu dem bekanntesten Markenzeichen der Welt geworden.
Haben Sie sich auch schon einmal die Frage gestellt:
Wie konnte der Gekreuzigte zu dieser Macht werden?
Der berühmte Historiker und Tom Holland trug da schon den Gedanken an das Buch mit sich herum: Dominion: The Making of the Western Mind. Herrschaft – wie die westliche Mentalität entstanden ist.
Jahrzehnte war er fasziniert von Macht. Als Junge wandte er sich vom Glauben ab, weil die Dinosaurier nicht in das enge religiöse Weltbild passten, indem er erzogen war. Und von den blutgierigen riesigen Jägern wandte er sich der Geschichte der grausamsten Herrscher und Tyrannen zu, die ihn faszinierten.
Die Großreiche der Gegner Israels interessierten ihn mehr als dieser Gekreuzigte
Nietzsche und dessen Willen zur Macht und zur unbedingten Beherrschung schien ihm eher der Schlüssel zur macht zu sein. »Kämpfe immer tapfer und sei anderen überlegen.«[51] aus der Ilias.
Aber Tom Holland wurde auch nachdenklich. Warum kannte fast niemand mehr außer ein paar Griechischlehrern die Heldentaten eines Alexander oder eines Attila? Warum sind fantastische Großreiche und Imperien längst Geschichte, während der Galiläer Jesus von seinem Berg immer noch eine unglaubliche Wirkung entwickelt?
Tom Holland stellte auch fest, dass der liberale Agnostizismus, dem er im Glauben an die Wissenschaft anhing, auch nur ein Glauben war, der ihm in Momenten der Entscheidung auf Leben und Tod, im Sterben für etwas nicht weiterbrachte und selbst die universalen Menschenrechte schienen ohne den Glauben an einen Gott, der die Welt und die Menschen liebt, ebenso ohne Begründung zu sein.
»Du hast gesiegt, bleicher Galiläer«, schrieb der viktorianische Dichter Algernon Charles Swinbourne, womit er die apokryphe Klage des Julian Apostata wiederholte, des letzten heidnischen Kaisers von Rom: »Die Welt ist grau geworden unter deinem Atem.« Instinktiv stimmte Tom Holland ihnen zu.
Wie konnte der Gekreuzigte zu dieser Macht werden?
Diese Frage trieb ihn um. Da unternahm Tom Holland eine Reise in den Irak, um dort einen Film zu machen. Sindschar ist eine Stadt, die, als er sie besuchte, direkt an der Grenze zum Islamischen Staat lag. Sie war dessen Kämpfern nur wenige Wochen zuvor wieder entrissen worden. 2014, als der Islamische Staat Sindschar erobert und besetzt hatte, war es die Heimatstadt vieler Jesiden gewesen, einer religiösen Minorität, die beim Islamischen Staat als Teufelsanbeter galten. Ihr Schicksal war grauenvoll gewesen, genau wie das jener Personen, die sich den Römern widersetzt hatten. Männer wurden gekreuzigt; Frauen wurden versklavt. Wenn man inmitten der Ruinen von Sindschar stand und wusste, dass nur drei Kilometer flachen, offenen Geländes entfernt genau die Leute saßen, die solche Gräueltaten begangen hatten, dann konnte man nachvollziehen, wie in der Antike der Gestank der Hitze und der Leichen einem Eroberer als sicheres Kennzeichen seiner Macht und seines Erfolges dienen konnte. Kreuzigung war nicht nur eine Bestrafung. Es war ein Mittel, sich Überlegenheit zu verschaffen: eine Überlegenheit, die bei den Unterworfenen nacktes, tiefstes Grauen hervorrief. Das Grauen vor der Macht war der Maßstab für Macht. So war es immer gewesen, und so würde es immer bleiben. So war die Welt.“
Mit diesem Geruch von Verwestem in der Nase und einem erschütterten Weltbild kehrt er zurück und schreibt in 750 Seiten eine sehr persönliche Geschichte des Christentums – pointiert von Cäsar über Gestalten wie Bonifatius und Abelard, Darwin bis hin zu dem Künstler Otto Dix und Himmler zu den unterschiedlichen Entscheidungen, die Merkel und Orban 2015 in der Flüchtlingsfrage trafen, die sich beide in christlicher Tradition wähnten.
Am Ende erzählt Tom Holland von seiner alleinstehenden Patentante und stellt fest: „Vielleicht wurde die Weltgeschichte mehr auf dem Schoß von Frauen geschrieben als von Weltherrschern.“ Er staunt: Dass es diese Menschen immer noch gibt. Die lieben und barmherzig sind. Und sich eher an dem Bergprediger Jesus orientieren als an dem Augustus. Die sich der Angst vor Leid und Schmerz nicht beugen. Die größere Macht als das Grauen ist schließlich die Liebe. Christen haben das immer verstanden.
Tom Holland weiß auch:
Viele Christen werden und wurden in dieser Zeit allerdings selbst zu Handlangern des Grauens. Als ständige Drohung lag ihr Schatten über den Schwachen; sie verursachten Leid und Verfolgung und Sklaverei. Doch die Maßstäbe, nach denen sie deswegen verurteilt werden, sind ihrerseits christlich; heute werden überall ihre Denkmäler als Sklavenhalter gestürzt.
Ich – Jan-Peter Hanstein – warte auf die Zeit, in der auch endlich die schrecklichen Hindenburgs und Bismarcks, die Friedrich Wilhelms und andere Große aus unseren Straßennamen verschwinden und wir ihre Bronzedenkmäler einschmelzen, um daraus leichte und wunderbare Kunstwerke der Barmherzigkeit zu machen. Wegen mir auch Kruzifixe. Oder die Pieta von Käthe Kollwitz, als Mutter mit ihrem gim Weltktieg I getöteten Sohn auf dem Schoß! Auf jeden Fall Denkmäler der Opfer und nicht ihrer Schlächter!
Auch wenn die Kirchen in Europa leerer werden, sieht es nicht so aus, als würde sich an diesen Beurteilungs-Maßstäben so schnell etwas ändern.
»Was schwach ist vor der Welt, hat Gott erwählt, dass er zuschanden mache, was stark ist.«
TOM HOLLAND schreibt, oder besser er bekennt: „Christ sein bedeutet zu glauben, dass Gott Mensch wurde und einen so schrecklichen Tod erduldete wie kaum ein anderer Sterblicher. Deshalb bleibt das Kreuz, dieses uralte Folterwerkzeug, was es immer war: das angemessene Symbol der christlichen Revolution. Es ist die Kühnheit, in einem gequälten, zu Tode geschundenen Leichnam die Herrlichkeit des Schöpfers des Universums zu erkennen, die mit größerer Gewissheit als alles andere die schiere Befremdlichkeit des Christentums und der Zivilisation, die aus dem Christentum entstand, erklären kann. Heute ist diese Befremdlichkeit so einflussreich und lebendig wie eh und je. Sie drückt sich in der großen Bekehrungswelle aus, die sich im Laufe des letzten Jahrhunderts in Afrika und Asien ausbreitete; in der Überzeugung von Millionen und Abermillionen Menschen, dass der Atem des Heiligen Geistes gleich einem lebendigen Feuer noch immer über der Welt weht; und in Europa und Nordamerika in den Einstellungen vieler weiterer Millionen, die nie auf die Idee kämen, sich als Christen zu bezeichnen. Sie alle sind Erben derselben Revolution: einer Revolution, die als ihr feuerflüssiges Herz das Bild eines an einem Kreuz zu Tode gefolterten Gottes hat.
Tom Holland endet:
Darauf hätte ich zweifellos schon früher kommen können.
Ich muss zugeben. Holland holt weit aus, wahrscheinlich zu weit für die meisten Leser. Trotzdem meine Empfehlung: Herrschaft – wie die westliche Mentalität entstanden ist.
Es geht um die größte Geschichte aller Zeiten. Der Geschichte Jesu und seinen Jüngern. Diese Geschichte ist größtenteils unsichtbar. Aber sie wiederholt sich in jeder Taufe. In jeder Konfirmation. In der Hoffnung jeder Patin oder jedes Paten, die dafür beten, dass ein Kind diese Liebe erfährt. Eine Konfirmandin, die glaubt, ist mächtiger als der tote Cäsar. Der glaubende Jugendliche, der/die einst vielleicht selbst diesen Ruf hört und aufbricht. Nicht mit einer Botschaft. Sondern mit Leib und Leben diesen Gekreuzigten bezeugt. mit “Jünger” ist das schon besser übersetzt von Luther als mit “Schüler”, weil es diese tiefe Verbindung ausdrückt. Mir gefällt in der Übersetzung Bibel in gerechter Sprache – da steht: um mit anderen zu lernen.
Im neuen Gemeindebrief, im BLICK in der Sommerausgabe haben wir das Thema Kirchengemeinde Lauf weltweit in den Blick genommen: ich war überwältigt, wieviele Patenschaften und Partnerschaften MitarbeiterInnen dieser Gemeinde schon über Jahrzehnte pflegen: in den Kongo nach Im Hospital der Christusträger Vanga. Hier auf Youtube findet ihr das tolle Benefizkonzert von Christoph Zehnder als Dankeschön an die Basarfrauen – aber auch der Kreativshop mit Jujuj in Argentinien, Wantoat Papua-Neuguinea, Haiti, Serbien. Ich grüé alle, die von dort aus zusehen!
Aus unserer Gemeinde sind Menschen ausgesendet worden in Gebiete von Zentralasien. Um zu unterstützen, zu lernen, auf eine ganz bescheidene Weise sich darunter stellen bis die Menschen dort fragen: Warum tust du das eigentlich? Und wir bei ihrer Rückkehr noch mehr lernen: – Dass dieser eine Name – Jesus – über allen Namen ist – und vor allen anderen schon da ist. Bis an die Enden der Welt. Diese Macht Jesu schafft erst die eine Welt in allen Völkern. Das ist niemals unumstritten. Immer umkämpft und umliebt. Ohnmächtig mächtiger als alles andere. Immer wieder sind wir auf der Suche. Glauben ist keiner Statistik erfassbar und von keinem anderen messbar. Die Jünger und die Gemeinden sind so schwach und doch so hoffnungsvoll. Niemals fertig, niemals zu Hause. Unterwegs – unterwegs durch die Zeiten – nur auf seinem Ruf und seinem Befehl. Des Gekreuzigten und Auferstandenen. Der lebt, damit wir auch leben. Der sagt:
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
AMEN.
Zitate aus: Tom Holland, Herrschaft – wie der Westen entstandt